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Politik
12.09.2022

Bald geht es um die Wurst

Bald andere Haltung? (Symbolbild)
Bald andere Haltung? (Symbolbild) Bild: pexels.com
Am 25. September entscheiden Stimmberechtigte über die Massentierhaltungsinitiative. Diese fordert das Ende der industriellen Tierproduktion. Als Mindeststandard sollen die Bio-Suisse-Richtlinien von 2018 gelten. Ablehnende halten die Initiative für unnötig, sehen massive Preiserhöhungen voraus und bangen um die regionale Produktion.

Die Initiative Massentierhaltung sieht vor, dass die Würde von Nutztieren wie Rindern, Schweinen und Hühnern geschützt und die Massentierhaltung verboten werden soll. Die gleichen Bestimmungen sollen auch für den Import von Tieren, Tierprodukten und Lebensmitteln mit Zutaten tierischer Herkunft wie Eiern, Käse und Milch gelten. Bundesrat und Parlament lehnen die Initiative mit der Begründung ab, dass Nutztiere schon heute sehr gut geschützt seien. Zudem sei die Umsetzung auf Importe sehr schwierig und würde ferner viele Lebensmittel verteuern. Gemäss dem Initiativkomitee werde das Tierwohl in der Massentierhaltung systematisch verletzt. Deshalb fordert die Initiative strengere Gesetze für eine tierfreundlichere Unterbringung und Pflege von Nutztieren. Strenger reguliert werden soll zudem auch der Zugang ins Freie, die maximale Gruppengrösse pro Stall und die Schlachtung. Die neuen Bestimmungen in der Tierhaltung müssten mindestens den Kriterien von Bio Suisse 2018 entsprechen und von allen Landwirtschaftsbetrieben eingehalten werden. 

Mehr Schein als Sein? 

Das Initiativkomitee und die Befürwortenden monieren, dass das Tierschutzgesetz oft als vorbildlich bezeichnet werde, die Realität aber anders aussehe. Nutztiere würden nicht als Lebewesen, sondern als Ware angesehen. Entsprechend werden sie in Massen gehalten, nur die wenigsten würden jemals auf einer Weide stehen. Weiter führe die industrielle Tierproduktion zu höheren Krankheitsrisiken. Mit der Initiative sollen zudem Schweizer Bauernfamilien geschützt werden; die Verhinderung von importierter minderwertiger Billigware stärke die heimische Landwirtschaft.

Unnötige Initiative? 

Ablehnende erachten die Initiative als unnötig und sagen voraus, dass sie zahlreiche negative Folgen nach sich ziehen würde. Sie argumentieren, dass der geforderte Standard mit Bio-Angeboten und anderen Tierwohllabels bereits existiere. Zudem erwarten sie bei einer Annahme eine Preiserhöhung bei tierischen Lebensmitteln um 20 bis 40 Prozent, was insbesondere Konsumierende mit tiefem Einkommen treffe und den Einkaufstourismus ankurble. Des Weiteren habe die Schweiz ein weltweit einzigartig strenges Tierschutzgesetz: Würde und Wohlergehen jedes einzelnen Tieres seien gesetzlich bereits ausreichend geschützt.

Kontra: Josef Schmid (Die Mitte), Vorstand

«Bock»: Wie ist Ihre Einschätzung zur preislichen Entwicklung tierischer Produkte bei einem Ja?

Josef Schmid: Durch die höheren Anforderungen an die Haltung würden die Preise stark ansteigen. Die Umsetzung der Initiative würde massive Mehrkosten durch bauliche Investitionen und Arbeitsstunden mit sich ziehen. Und das, obwohl wir bereits jetzt das strengste Tierschutzgesetz der Welt haben. Das hat der Schweizer Tierschutz mit einer Studie vor einigen Jahren belegt. Wem das nicht reicht, der/die kann Label- oder Bioprodukte kaufen, ob Fleisch, Milch oder Eier, auch in verarbeiteten Lebensmitteln. Aber das tun, wie die Verkaufszahlen zeigen, nur wenige Konsumentinnen und Konsumenten. Die allermeisten ziehen günstigere Produkte vor. Bei der Annahme der Initiative würden sie sich die bestehende Wahlfreiheit selber entziehen.

Die Initiative fordert, dass alle Tiere bedürfnisgerecht leben können. Wie bewerten Sie die aktuelle Haltung der Nutztiere?

Schmid: Die aktuelle Haltung der Nutztiere ist gut bis sehr gut. Die Schweizer Bauernfamilien geben täglich ihr Bestes für die Tiere, von morgens früh bis abends spät und, wenn es nötig ist, auch in der Nacht. Und die Haltungsbedingungen sind kontrollierbar – im Gegensatz zu den Haltungsbedingungen bei Importprodukten.

Wie würde eine Annahme der Initiative den Bestand an Tierbetrieben in der Schweiz beeinflussen?

Schmid: Der Tierbestand würde in der Schweiz dramatisch abnehmen und der Import somit stark zunehmen, solange es genügend Fleisch etc. auf dem Markt gibt und die Grenzen offen sind. Seit Jahren fordert der Bund, dass sich Landwirtschaftsbetriebe spezialisieren und vergrössern, um wirtschaftlicher zu sein. Wer aufgrund der Nachfrage in die Tierhaltung investiert hat, zum Beispiel einen Schweinestall oder eine Geflügelhalle gebaut hat, der steht bei einem Ja vor einem Scherbenhaufen. Solche Bauern haben alles richtig gemacht, sich nach der Politik gerichtet, sich ans Tierschutzgesetz gehalten, nach den gesetzlichen Vorgaben gebaut. Dafür haben sie grosse Investitionen auf sich genommen. Und nun sollen diese Grundlagen massiv umgekrempelt werden? Das sind keine Zukunftsperspektiven für eine funktionierende Landwirtschaft. Eine Zukunft in ihrem Sinne können die Konsumentinnen und Konsumenten selber schaffen: indem sie die tierischen Produkte kaufen, die sie fordern, und bereit sind, den Preis für eine noch tierfreundlichere Haltung zu zahlen.

Pro: Alexander Diemand (Grüne), Vorstand

«Bock»: Wie beurteilen Sie die Argumente der gegnerischen Parteien bezüglich der eingeschränkten Wahlfreiheit?

Alexander Diemand: Die Klimakrise zwingt uns heute und in Zukunft viele Entscheidungen auf, die für jetzige und zukünftige Generationen wichtig sein werden. Mit der Annahme der MTI gehen wir auch einen Schritt in Richtung Lösung der Gülleproblematik, reduzieren den Stress der Tiere und damit auch den vermehrten Einsatz von Antibiotika. Auch werden die exorbitanten Futtermittelimporte zurückgehen und der Anteil der inländischen Futterproduktion erhöht. Weder die CH-Landwirtschaft noch die Konsumenten werden in ihrer Wahl eingeschränkt. Nur eine kleine Anzahl Betriebe, welche industrielle Massentierhaltung betreibt, muss ihre Produktion anpassen. Mensch und Tier gewinnen durch die Annahme dieser Initiative.

Wie gross schätzen Sie die Gefahr bei einer Annahme ein, dass sich nur noch Gutverdienende tierische Produkte leisten können?

Diemand: Der Gesetzgebung zur Umsetzung der Massentierhaltungsinitiative (MTI) wird eine maximale Übergangsfrist von 25 Jahren eingeräumt. Dadurch soll auf der Produzenten- wie auf der Konsumentenseite eine langsame Transformation stattfinden, mit dem Ziel, eine artgerechte Existenz unserer Nutztiere zu erreichen. Die vorherrschende christlich-abendländische Kultur in der Schweiz bedingt einen Wandel hin zu artgerechter Haltung, in der das Tierwohl über der Gewinnmaximierung in der Massentierhaltung steht. Mit der Annahme der MTI übernehmen wir als Menschen Verantwortung und geben den von uns gehaltenen Tieren einen Teil ihrer Würde zurück.

Könnten bei einer Annahme gewisse Produkte gänzlich aus den Regalen verschwinden?

Diemand: Im Gegenteil! Ich erwarte, dass die Annahme der MTI ein breiteres Angebot von tier- und naturgerechten Nahrungsmitteln ermöglicht. Die Nachfrage nach Label-Fleischprodukten steigt stetig und bietet der CH-Landwirtschaft neue Möglichkeiten, für den Konsumenten Produkte aus tiergerechter Haltung zu produzieren. Auch Fleischersatzprodukte sind auf dem Vormarsch und erobern unseren Appetit. Die 25-jährige Übergangsfrist lässt viel Spielraum offen und bietet unserer Gesellschaft Zeit, um eine tiergerechte Nutztierhaltung in der Schweiz einzuführen. Durch die Annahme der MTI wird der Landwirtschaft ein Weg aus der Einbahn-Massentierhaltung aufgezeigt und auch wir Konsumenten werden von mehr Nahrungsmitteln aus tiergerechter Haltung profitieren.

Gabriella Coronelli, Schaffhausen24