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Gesellschaft
23.01.2023

Der Weg in eine selbstständige Zukunft

Der Verein KIRA ermöglicht momentan 15 Mädchen eine Ausbildung zur Schneiderin. Zudem erhalten sie eine schulische Ausbildung sowie Zugang zu Nahrung und medizinischer Hilfe.
Der Verein KIRA ermöglicht momentan 15 Mädchen eine Ausbildung zur Schneiderin. Zudem erhalten sie eine schulische Ausbildung sowie Zugang zu Nahrung und medizinischer Hilfe. Bild: zVg.
Zwangsheirat verhindern durch Bildung: Dies ist ein Ziel des Vereins KIRA. Hauptprojekt des Vereins ist ein Ausbildungszentrum in Guinea, in dem zurzeit 15 Mädchen eine Schneiderlehre absolvieren. Nun soll ein weiteres Atelier eröffnet werden, um zehn weitere Mädchen aufzunehmen. Dafür braucht es aber noch Spenden.

Guinea gehört zu den ärmsten Ländern der Welt. Rund 60 Prozent der Bevölkerung können weder lesen noch schreiben. Durch die vorherrschende Armut können es sich viele Eltern nicht leisten, ihre Familien zu ernähren, geschweige denn ihre Kinder zur Schule zu schicken. Diese müssen früh schon um Essen betteln oder arbeiten – oft unter menschenunwürdigen Konditionen. Mädchen müssen im Haushalt helfen und werden sehr jung gegen ihren Willen und gegen Bezahlung eines Brautpreises zwangsverheiratet. Eine Praxis, die in grossen Teilen Afrikas noch weit verbreitet ist. Als Vorwand werden oft kulturelle Hintergründe genannt, Grund sei aber meist die finanzielle Notlage der Eltern – vom Brautpreis kann eine Familie einige Monate leben. «Es ist nicht die Kultur, sondern die wirtschaftliche Misere, welche die Leute dazu bringt, ihre Kinder zu verkaufen», sagt Saran Keita, Gründerin und Präsidentin des Vereins KIRA. Sie stammt gebürtig aus Guinea und lebt seit 24 Jahren in der Schweiz. «Sie führen eine moderne Sklaverei unter dem Vorwand von Kultur.» Die Verhältnisse sind prekär, eine Besserung ist laut der 44-Jährigen nicht in Sicht. Den Verein KIRA gründete sie 2018 mit zwei Zielen: Bedürftigen Kindern soll der Schulbesuch ermöglicht und Jugendliche sollen in ein Ausbildungsprogramm integriert werden. Bildung sei der Weg in eine bessere Zukunft für die Kinder und Jugendlichen Guineas.

Bildung ist der Weg

Regelmässige Reisen in ihr Heimatland Guinea führen Saran Keita die immer weiter zunehmende Armut und das sehr schlechte Bildungsniveau der Bevölkerung vor Augen. 

Die wohltätige Arbeit der gelernten Betriebswirtschafterin begann im Jahr 2016. Per Zufall traf sie in der Hauptstadt Conakry auf einen siebenjährigen Vollwaisen. Sein Schicksal ging ihr nahe, da übernahm sie die Patenschaft des Knaben und finanziert ihm seither die Schulgebühren, Kleider, Nahrung und vieles mehr. «Ich weiss, dass es nicht einfach ist, in Guinea zu leben, wenn man niemanden hat», erklärt die 44-Jährige. Bei der einen Patenschaft blieb es nicht, seither unterstützt sie weitere Waisen und arme Kinder in Guinea. «Es gibt viele Kinder, die aus ihrer schlimmen Lage rauswollen, aber dazu keine Möglichkeiten haben. Und nicht jedes Kind hat den Mut dazu, einen solchen Schritt zu wagen», sagt Saran Keita. Da diese Kinder sonst keine Chancen hätten, müsste diesen dringend geholfen werden. «Ich bin überzeugt: Bildung und Aufklärung ist der richtige Weg dazu. Alles andere ist Symptombekämpfung.» Die 44-Jährige kritisiert dabei die Entwicklungshilfe in Guinea. «Wir haben über 60 Prozent Analphabeten in der Bevölkerung. Daher frage ich mich: was hat diese Entwicklungshilfe gebracht? Diejenigen, die davon profitieren sollten, haben bis jetzt nichts davon gesehen. Und die Leidtragenden sind die Kinder und Jugendlichen», so Saran Keita.

Saran Keita setzt sich seit Jahren mit Herzblut für eine bessere Zukunft für Kinder und Jugendliche in Guinea ein. Bild: Nathalie Homberger, Schaffhausen24

Ehrenamtliche Arbeit

Vor sieben Jahren lernte sie Bintou, ein 17-jähriges Mädchen, kennen. Diese war von zu Hause weggelaufen, da sie mit einem 58-jährigen Mann zwangsverheiratet werden sollte. Mit Gelegenheitsjobs hielt sie sich knapp über Wasser. Ihre Geschichte bewegte Saran Keita, die selbst eine 14-jährige Tochter hat. So entschied sie sich, das Mädchen zu unterstützen und finanzierte ihr eine Ausbildung als Schneiderin – in Guinea ein relevanter Beruf. Leider wurde das Mädchen an diesem Ort ausgenützt. So suchte die Hüntwangerin nach einer Lösung. 

Bei Gesprächen mit ihrer Tante, einer Schneiderin, entstand die Idee, ein eigenes Atelier als Ausbildungszentrum für hilfsbedürftige Mädchen zu eröffnen. Sie präsentierte ihre Idee ihren Arbeitskollegen und -kolleginnen in der Schweiz. Da wurde 2018 der Verein KIRA gegründet, für den heute 13 Personen aktiv im Einsatz stehen. Zwei Jahre später wurde die Eröffnung des KIRA-Schneiderateliers gefeiert. Dort absolvieren seither 15 Mädchen aus armen Verhältnissen eine Schneiderausbildung. Saran Keitas Tante bildet die Mädchen handwerklich aus. Zudem unterrichtet ein Lehrer die Mädchen in Lesen und Schreiben sowie im Führen einer einfachen Buchhaltung. Die Jugendlichen erhalten zwei Mal täglich eine Mahlzeit sowie medizinische Hilfe. Dies kostet den Verein 750 Franken pro Mädchen und Jahr.

Leben positiv verändern

Die Idee des Vereins basiert auf dem Prinzip der Hilfe zur Selbsthilfe. Die Ausbildung ermöglicht nicht nur einen Zugang zu Bildung und einem angesehenen Beruf. Sie ist für die Jugendlichen ein Weg zur Selbständigkeit und Unabhängigkeit. Ein positiver Nebeneffekt: Die Eltern müssen für die Dauer der Ausbildung zustimmen, ihre Mädchen nicht zwangszuverheiraten. Mit der Ausbildung können die Mädchen danach ihre Familien selbst ernähren und sind nicht mehr auf einen Ehemann angewiesen. «Wenn ich sehe, dass wir das Leben eines Menschen positiv verändern, dann weiss ich, dass wir auf dem richtigen Weg sind. Der Gedanke, dass bereits ein Mädchen dadurch nicht zwangsverheiratet werden muss, gibt mir sehr viel», so Saran Keita.

«Die Leidtragenden sind die Kinder und Jugendlichen.»
Saran Keita, Gründerin und Präsidentin des Vereins KIRA

Hilfe zur Selbsthilfe

Die humanitäre Hilfe des Vereins sprach sich vor Ort herum. Es warten bereits 79 weitere Jugendliche auf einen Platz im Ausbildungszentrum. Daher will der Verein KIRA – für den Anfang – weitere zehn Jugendliche ins Programm aufnehmen. Dafür müssen aber ein neues Atelier eingerichtet und zwei weitere Lehrpersonen für mindestens ein Jahr finanziert werden. Daher wurde ein Crowdfunding-Projekt gestartet. Ziel ist es, 14 000 Franken zu sammeln. Das Ziel ist bald erreicht, dennoch fehlen rund 4000 Franken. Saran Keita hofft, dass das Atelier im Frühling eröffnet werden kann. 

Die 15 Mädchen, die dieses Jahr ihre Ausbildung abschliessen werden, sprechen gemäss der Hüntwangerin heute nicht mehr von Heirat, sondern möchten sich selbstständig machen, in grösseren Ateliers arbeiten oder selbst jungen Mädchen helfen. «Das ist für mich das Zeichen, dass ich etwas richtig gemacht habe. Die jungen Frauen haben gemerkt, dass es Hilfe zur Selbsthilfe ist.»

Das Crowdfunding-Projekt des Vereins KIRA kann unter there-for-you.com unterstützt werden. Weitere Infos zum Verein sind unter vereinkira.ch erhältlich.

Nathalie Homberger, Schaffhausen24