Frühmorgens am 22. Februar 1945 hoben zahlreiche Flugzeuge der 95. US-Bombergruppe aus dem Osten Englands ab. Ihre Mission: Die Zerstörung von Transportknotenpunkten in ganz Nazi-Deutschland. Das neue Buch «Bomben auf Stein am Rhein» von Historiker und Publizist Matthias Wipf beschäftigt sich vor allem mit dem eingeschlagenen Weg eines dieser Flugzeuge. Als Teil der Schwadron 95C sollten der verantwortliche Pilot und sein Navigator die nordbayrische Stadt Kitzingen bei Würzburg unter Beschuss nehmen. Zum Abwurf der tödlichen Fracht kam es jedoch in Stein am Rhein.
Ermutigende Rückmeldungen
Das Buch «Bomben auf Stein am Rhein» ist nicht die erste Abhandlung von Matthias Wipf über die fälschlichen Bombardierungen des Kantons Schaffhausen im Zweiten Weltkrieg. In seinem 2022 erschienenen Buch «Als wäre es gestern gewesen!» berichtet er von den Geschehnissen rund um den 1. April 1944. An diesem Tag wurde die Stadt Schaffhausen irrtümlich seitens der USA bombardiert. Die Resonanz auf die Publikation seiner Recherchen sei enorm gewesen. «Das Schönste für mich ist, wenn ich sehe, dass meine Bücher mit Interesse gelesen werden», sagt Matthias Wipf. «Im Zuge dessen wurde ich oft gefragt, ob ich nicht auch über die Vorfälle in Stein am Rhein schreiben könnte.» So starteten die erneuten Nachforschungen des Historikers.
Jetzt oder nie
«Bomben auf Stein am Rhein» besteht laut dem Autor aus zwei Elementen. Für den faktenbasierten Teil verschaffte er sich unter anderem Einsicht in amerikanische und britische Archive. Dadurch konnte Matthias Wipf detailliert rekonstruieren, wie das Flugzeug der Schwadron 95C von seinem ursprünglich angepeilten Ziel abkam und Stein am Rhein als sogenanntes «Target of opportunity» (Gelegenheitsziel) ausgewählt wurde.
Die emotionale Komponente im Buch liefern die Schilderungen von acht Zeitzeuginnen und Zeitzeugen. Wie bereits in «Als wäre es gestern gewesen!» bilden sie den Hauptbestandteil von Matthias Wipfs neustem Werk «Bomben auf Stein am Rhein». «Das Ausfindigmachen von Personen, welche bei der Bombardierung vom 22. Februar 1945 dabei gewesen sind, war nicht ganz einfach», so der Autor. Eine seiner Herangehensweisen war das Prüfen der aus dem Anschlag resultierenden Todesanzeigen, denn so konnte er noch lebende Familienmitglieder der damaligen Opfer aufspüren. Für die Befragungen der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen reiste Matthias Wipf quer durch die Schweiz. Die aufgrund der Gespräche erhaltenen Erkenntnisse lieferten ihm wichtige Zusatzinformationen für das Verfassen seines Buches. «Beim Lesen dieser Lebenserinnerungen stellt man sich unweigerlich die Frage, wie man selbst in solch einer Situation reagiert hätte», meint Matthias Wipf. «Geschichte wird so greifbarer.» Die meisten seiner Gesprächspartner und Gesprächspartnerinnen sind heute weit über 80 Jahre alt. Dies verdeutlicht die Dringlichkeit, solche Lebenserinnerungen zum jetzigen Zeitpunkt aufzuarbeiten und niederzuschreiben. Ansonsten sei es vielleicht bald zu spät. Zwei der porträtierten Zeitzeugen sind denn auch in der Zwischenzeit bereits verstorben.
Neue Möglichkeiten
Um Informationen zu erhalten, durstöberte Matthias Wipf etliche Estriche, Kellerabteile sowie lokale und ausländische Archive. Eine weitere Art, um an Quellen und Kontakte zu gelangen, sei heute zudem die Nutzung von Social-Media-Kanälen. Durch das Absetzen eines Tweets etwa erhielt er den Hinweis, dass ein Mitglied der Crew, welche die Bomben damals auf Stein am Rhein abwarf, noch am Leben sei. Die Sichtweise auf den Tag im Februar des damals erst 21-jährigen US-Soldaten fand so auch einen Platz in der Publikation. Für Matthias Wipf ist sein Buch «Bomben auf Stein am Rhein» Gedenkstück und Mahnmal in einem.
Weitere Informationen zum Buch sind unter
wipfkom.ch/buecher erhältlich.