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Gesellschaft
17.12.2024
18.12.2024 09:16 Uhr

Schaffhausen - USA - Mars

Anna Katharina Sulzer beim NASA JPL, zwischen Los Angeles und Pasadena. Es ist das einzige Center der US-Raumfahrtbehörde, welches Personen aus dem Ausland einstellt. Aufgrund von Sparmassnahmen wurde ein Einstellungsstopp verhängt. Sie sucht deshalb anderweitig nach einer Stelle.
Anna Katharina Sulzer beim NASA JPL, zwischen Los Angeles und Pasadena. Es ist das einzige Center der US-Raumfahrtbehörde, welches Personen aus dem Ausland einstellt. Aufgrund von Sparmassnahmen wurde ein Einstellungsstopp verhängt. Sie sucht deshalb anderweitig nach einer Stelle. Bild: zVg.
Galaktischer Flug der Anna Katharina Sulzer: Start an der ETH, Zwischenstopp bei der NASA und Landung in Stanford.

«Lange Zeit wollte ich nicht Ingenieurin, sondern Tierärztin oder Chirurgin werden», so die 24-jährige Schaffhauserin Anna Katharina Sulzer. Erst im zweiten Jahr an der Kantonsschule habe sie gemerkt, dass ihr Mathe und Physik besser liegen als Biologie und Chemie. «Auswendiglernen war nie etwas für mich», fügt sie schmunzelnd an. Das Interesse an MINT-Fächern habe sich früh entwickelt. Lösungsorientiertes Denken, Zusammenhänge und Naturgesetze verstehen, fasziniere sie.

«Ich muss zugeben, dass ich nicht die klassische Ingenieurin bin, die von klein auf mit Lego gespielt und in der Freizeit Dinge auseinander- und zusammengebaut hat. Viel lieber verbringe ich meine Freizeit im Stall, beim Sport, unter Freunden oder etwa mit Nähen.» Ihr sei es wichtig, ihre Interessen zu pflegen, die zur Persönlichkeitsbildung beitragen. Nichtsdestotrotz investiert Anna Sulzer viel Zeit und Herzblut, und das nicht seit gestern, in ihre schulische und berufliche Entwicklung im Bereich Raumfahrt.

Roboter, Drohne, Rakete mit Fallschirm

Die Schaffhauserin hat einen Bachelor of Science ETH in Maschineningenieurwissenschaften in der «Raumfahrttasche». Gerne erinnert sie sich ans Studium an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich (ETH) zurück. Sie hätten die Möglichkeit gehabt, an vielen Projekten mitzuwirken. Im ersten Jahr habe das «Innovationsprojekt» den Bau eines kleinen Roboters im Team beinhaltet. Im dritten Jahr und Zuge des Fokusprojekts sei es darum gegangen, ein spezifisches Projekt intensiv zu verfolgen, erklärt Sulzer: «Mein Team entwickelte, baute und startete eine Rakete mit einem autonom gesteuerten Fallschirm.» Wiederum hätten andere Aufgaben von Medizinaltechnik über Drohnenprojekte bis zu elektronischen Rennautos gereicht. «Diese Projekte ermöglichen es den Studierenden praktisch zu arbeiten, Verantwortung zu übernehmen und Einblicke in die Designfaktoren jenseits der Theorie zu erhalten.»

Ein Faible für Weltraumtechnik

Während des ETH-Studiums engagierte sich Anna Katharina Sulzer zwei Jahre lang bei der Akademischen Raumfahrtinitiative Schweiz (ARIS). Dabei handelt es sich um einen Studierendenverein, welcher Raketen, Satelliten und andere Raumfahrtsysteme baut. «Im Zuge dessen kristallisierte sich bei mir das Interesse an einer Karriere in der Luft- und Raumfahrt heraus», resümiert die Schaffhauser Studentin. Eine Kontaktperson von ARIS habe sie, zu ihrer Freude, für das Programm des Jet Propulsion Laboratory (JPL) der NASA empfohlen, wodurch ein technisches Interview mit zwei Ingenieuren des Projekts zustande kam.

Während eines Urlaubs in Boston, gegen Ende des Bachelorstudiums, habe Sulzer das MIT besucht und aus Spass Freunden gesagt, dass ihr ein Masterstudium in den USA vorschwebe. «Beim Durchstöbern der Optionen an der ETH, musste ich feststellen, dass es keinen ‹Space Master› gibt. Seit nun einem Jahr bieten sie diesen an.» Es sei für sie klar gewesen, dass nur Schulen in Frage kommen, die wie die ETH, zu den weltweit Top-Unis gehören. Dadurch habe sie definitiv den Entschluss gefasst, ihr Glück an US-Unis zu versuchen: «Eines meiner Lebensmottos ist, es immer wenigstens zu versuchen, denn sonst erfährt man nicht, ob es vielleicht doch geklappt hätte.»

Mit einem Motivationsschreiben, Referenzen von drei ETH-Professoren und einem TOEFL-Sprachtest im digitalen Briefumschlag habe sie sich an verschiedenen Unis in den Staaten beworben. 

Nächster Planet: Nobelpreis-Uni

Die 1891 gegründete Leland Stanford Junior University (kurz Stanford University), welche aus sieben Fakultäten besteht, hat Anna Sulzer schlussendlich ins Masterprogramm aufgenommen. Diese Wissensschmiede in der San Francisco Bay Area, auch bekannt als «Silicon Valley», gehört zu den Renommiertesten und Wissensstärksten der Welt. Sie hat momentan 21 Nobelpreisträger, 24 MacArthur-Fellows und vier Inhaber eines Pulitzer-Preises – um eine Auswahl zu nennen. Rund fünf Kilometer vom Schulgelände entfernt befindet sich das Hauptquartier von META, dem Konzern hinter Facebook, WhatsApp, Instagram und Co. Google liegt etwa sieben Kilometer von der mit dem Spitznamen «Die Farm» versehenen Uni entfernt und noch weiter östlich ist Intel stationiert.

Das «Aerospace Engineering»-Studium besteht unter anderem aus Fächern, die Themen wie Orbital- und Fluiddynamik sowie Regelungs- und Antriebssystemen behandeln. «Ein Projekt beinhaltete die Entwicklung einer Simulation, für einen selbst ausgewählten Satelliten, bestehend aus Umlaufbahn, Subsysteme und Mission», zählt die Standford-Studentin ein Highlight der ersten Monate an der Uni auf. 

Die günstige Lage des 3310 Hektaren grossen Campus, mit über 16 000 Studenten, mitten im Silicon Valley, biete unglaubliche Möglichkeiten, weiss Sulzer aus eigener Hand: «Regelmässig treten bekannte und renommierte Unternehmer als Gastredner auf. Diverse Fächer bieten die Möglichkeit an, ein eigenes Start-up aufzubauen.» Die Anlage sei zudem wundervoll, beherberge unzählige Clubs und lade zum Sport und zu anderen Aktivitäten ein. «Obwohl ich mit dem Studium sehr beschäftigt bin, versuche ich das schöne Kalifornien mit seinen Stränden und Nationalparks zu erkunden.» Mehrmals die Woche gehe sie dem Reitsport nach und sei zudem neu auf dem Tennisplatz anzutreffen.

«Während wir Schweizer die Tendenz haben abzuwarten, um sicher zu gehen, dass es klappt, ist in den USA die Einstellung vorherrschend, es einfach zu versuchen.»
Anna Katherina Sulzer, Stanford-Studentin aus Schaffhausen

Von der «Farm» zu den «Engeln»

Trotz den diversen praktischen Teilen des ETH-Studiums, sei es Sulzer wichtig gewesen, noch weitere Erfahrungen zu sammeln. Als Visiting Student Researcher durfte sie die US-Raumfahrtbehörde NASA am Jet Propulsion Laboratory besuchen. Dieses befindet sich in «La Cañada Flintridge», oberhalb von Los Angeles, zwischen Pasadena und Glendale. «Während mehr als zehn Wochen konnte ich an einem Projekt mitarbeiten, welches eine sogenannte ‹Entry, Descent and Landing Platform› für Mars-Helikopter entwickelt», blickt Sulzer auf den vergangenen Sommer zurück. Im Zuge dessen sei es ihr möglich gewesen, einer Test-Kampagne an einem anderen NASA-Center beizuwohnen. «Wir setzten dabei das System in einer Vakuumkammer den Luftdruckverhältnissen aus, die auf dem Mars zu erwarten sind.»

Mit der spannenden Arbeit und den technischen Lernerfahrungen seien einige Highlights einhergegangen. So habe sie mitbekommen, wie die beiden Mars-Rover Curiosity und Perseverance im sogenannten «Mars Yard» getestet werden. Weiter durfte sie an einer Tour der Space Flight Operations Facility teilnehmen. Dabei konnte sie sehen, wo täglich neue Kommandos an die Mars Rover abgeschickt werden.

Das Praktikum war alles andere als eine liebe Geste des JPL. Eine Bedingung des «Visiting Student Research Programms» war gar, dass die Finanzierung dafür in der Privatwirtschaft zu suchen ist. «Grosszügigerweise unterstützten mich drei Schaffhauser Unternehmen», so die dankbare NASA-Praktikantin.

Weiter Fahrt aufnehmen

Eine sehr spannende Erfahrung sei die Einstellung der Amerikaner im Silicon Valley bezüglich neuer Ideen, Start-ups und Innovationen, berichtet die Schaffhauser Studentin: «Während wir Schweizer die Tendenz haben abzuwarten, um sicher zu gehen, dass es klappt, ist in den USA die Einstellung vorherrschend, es einfach zu versuchen.» Sie sei sich der Risiken dieses Vorgehens bewusst, Stichwort «responsible innovation». Bekanntlich liege der richtige Weg irgendwo dazwischen.

Das Studium neigt sich bereits dem Ende zu – Abschluss Juni 2025. Deshalb befindet sich Anna Sulzer bereits im Bewerbungsprozess bei Unternehmen in Europa und den USA. Die NASA musste sie bereits aussortieren, da das einzige Center, das Ausländer beschäftigt, zurzeit niemand mehr einstellt. «Ich möchte sehr gerne in der Raumfahrtbranche bleiben. Deshalb hoffe ich, dass sich mein zukünftiger Weg in den nächsten Wochen deutlicher abzeichnet.»

  • Anna Sulzer während ihrer Zeit bei der ARIS. Bild: zVg.
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  • Im Gelände, beim Testen der ARIS-Raketen. Bild: zVg.
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Sandro Zoller, Schaffhausen24