«Ein Gläschen in Ehren kann niemand verwehren.» – «Prost und Stösschen.» Solche Sprüche sind tief in unserer Alltagskultur verankert. Ob an der Fasnacht mit Glühwein, bei Meisterfeiern mit Bierduschen, Sommerfesten mit Cocktails oder Apéros mit Wein – Alkohol ist ein ständiger Begleiter. Früher war es nicht unüblich, dass der Sohnemann den Bierschaum von Daddys Humpen wegschlürfen durfte, heute dürfte dieser «Brauch» wohl ausgestorben sein. Ganz anders während der Prohibition in den USA, als Alkohol strikt verboten war und sich der Konsum in den Untergrund verlagerte – ein historisches Beispiel dafür, wie stark Alkohol mit Gesellschaft und Kultur verwoben ist. Doch hinter dieser scheinbaren Normalität verbirgt sich eine ernste Problematik: Alkoholsucht. Gemäss BAG konsumieren in der Schweiz rund 83 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren Alkohol. Etwa 16,4 Prozent trinken missbräuchlich, rund 4 Prozent leben mit chronisch risikoreichem Konsum.
Wie alles begann
Ein Suchtbetroffener ist Oliver*. Er steht mitten im Leben und ist gerne mit seiner Freundin auf Achse. Gerade kulturelle Veranstaltungen locken sie in die Altstadt, wo sie das reichhaltige Angebot geniessen. Er ist keiner, den man sofort mit einem Stigma in Verbindung bringt, wenn man ihn sieht. Und doch trägt Oliver seine persönliche Geschichte durch sein Leben, wie seine Beziehung zum Alkohol überborderte. «Die ersten Berührungen zum Alkohol entstehen durch den Reiz, es auszuprobieren, wie das fast jeder Jugendliche macht», sagt er rückblickend. Sein erstes Bier war «gruusig», nichts für ihn. Und doch blieb der erste Rausch haften. Irgendwie normal, irgendwie fremd. Der Verlust der Kontrolle war beängstigend. Also liess er es wieder sein, fürs Erste. Oliver war ein introvertierter Teenager, und der Alkohol schien ihm Türen zu öffnen. «Er machte mich locker, meine Schüchternheit wurde plötzlich nebensächlich.»
Der Einstieg in den Alltag
Getrunken hatte er praktisch gar nicht mehr, bis er in die Lehre kam. «Ich habe eine Ausbildung in einer bürgerlichen Küche absolviert», erzählt Oliver. Dort gehörte das Feierabendbier nach getaner Arbeit zur Pflicht, worauf Oliver jeweils mittrinken musste. Ausgelacht hätten sie ihn, hätte er einen Kaffee bestellt. «Und ich war noch nicht 16. Aber ich gewöhnte mich schnell daran und fand darin die erhoffte Entspannung. Auch weil es dann bald mal zwei oder drei Stangen wurden und man die Zeit mit dem Oberstift verhockte.» Oliver fand seine Leidenschaft zwischendurch auch in Alcopops wie Swizzly, Pesca-Fritz, Hooch und wie sie noch alle hiessen. Der süsse Geschmack, das grelle Design, die unscheinbare Gefahr. Der damalige Trend war so auffällig, dass 2004 sogar der Bundesrat mit einer Sondersteuer eingriff. Die Preisaufschläge sorgten für eine spürbare Marktverdrängung, aber da hatte Oliver längst Gefallen gefunden.