Als wir vor vielen Jahren in unser Haus einzogen, wollte ich unbedingt einen Feigenbaum haben, weil ich die Früchte so liebe. Mein Mann schenkte mir vor vierzehn Jahren einen zu meinem Geburtstag. Im Sommer darauf war ich ganz aufgeregt und beobachtete das zarte Bäumchen genau – aber keine Früchte hingen daran. Im zweiten Jahr dasselbe Spiel. Im dritten Winter wurde es dem Bäumchen zu kalt. Statt der drei dickeren Äste blieb im Frühling gerade mal noch einer übrig. Unserer aller Meinung nach war klar: «Der ist gestorben.» Aber wir täuschten uns. Im Sommer darauf trug er wieder Blätter – und die ersten, ganz kleinen Früchte. Ein Jahr später war er schon deutlich gewachsen und trug ein paar Früchte mehr. Nun, seit drei Jahren haben wir an unserem stattlichen Baum jeden Sommer Feigen ohne Ende. Gewaltige Mengen hängen an meinem totgeglaubten Feigenbaum. Täglich essen wir vier bis fünf davon.
Ich pflege übrigens keinen Gemüsegarten – aber bei uns ist es tatsächlich noch so: Wer zu viel hat, bringt es anderen. Von lieben Nachbarn und Verwandten habe ich schon Tomaten, Zucchetti, Aprikosen und so vieles mehr erhalten. Es ist ein herzliches Geben und Nehmen, das den Sommer bei uns noch schöner macht. Meine Feigen kommen in dieser kleinen Tauschgemeinschaft besonders gut an – und werden immer mit Freude genommen. Letzte Woche, früh morgens, nahm ich ein paar Schüsseln und spazierte – noch vor dem ersten Kaffee und bevor meine Haare eine Bürste zu Gesicht bekamen – in den Garten, um die nicht ganz unkomplizierte Ernte zu starten. Der Baum hat inzwischen eine stattliche Grösse, und mit Leitern habe ich es nicht so. Ja, es ist ganz bestimmt ein Bild für Götter, wie ich da ungekämmt in den Blättern nach Früchten angle. Just in diesem Moment höre ich vom Fussgängerweg neben dem Haus: «Guten Morgen, Nici.» Ja, ertappt – ein Gruss geht raus an die Frau Nachbarin. Ich war nicht so gesprächig wie sonst; sie möge es mir verzeihen. Der Feigenbaum trägt mittlerweile nur noch wenig Früchte. Es wird Zeit für den Herbst.