Es riecht nach Herbst, die Bäume sind schwer behangen: Auf dem Betrieb von Hendrik Güntert in Büsingen reifen die Äpfel in allen Farben. «Rund 9000 Bäume pflege ich hier, elf Apfelsorten und drei Birnensorten», erzählt der 29-Jährige. Gerade herrscht Hochbetrieb, und doch nimmt er sich Zeit für ein Interview, aber nur weil das Wetterapp Regen vorhergesagt hat.
Vom Schreiner zum Obstbauer
Der 29-Jährige kam auf Umwegen zum Beruf. Eigentlich lernte er Schreiner. Doch als sein Onkel überraschend verstarb, stand Güntert vor der Entscheidung: Weitermachen in der Holzbranche oder den Hof übernehmen? Mit Unterstützung seiner Eltern hängte er nach der Schreinerlehre eine Ausbildung zum Landwirt EFZ an und übernahm den Betrieb «Güntert Obstbau» und passte ihn Schritt für Schritt seinen Möglichkeiten an. Heute führt er ihn mit Leidenschaft – und mit familiärem Rückhalt: «Meine Mutter Pina führt unseren Hofladen mit Herzblut. Ohne sie ginge es nicht.»
Ein Apfel für das ganze Jahr
Die Kundschaft ist breit: Vom Hofladen über Altersheime bis hin zu Kitas und Restaurants. Damit die Früchte das ganze Jahr frisch bleiben, setzt Güntert auf moderne Lagertechnik. «In speziellen Lagerräumen mit kontrollierter Atmosphäre werden Temperatur und Luftgemisch optimal auf jede Sorte abgestimmt. So können wir selbst im Frühling noch knackige Äpfel anbieten.»
Doch auch hier gilt: Präzision ist entscheidend. «Die Äpfel lagern in Gemeinschaftsräumen mit Obst von anderen Produzenten, in denen Temperatur und Luftgemisch genau eingestellt werden», erklärt Güntert. Jede Sorte braucht ihr eigenes Mischungsverhältnis. Wird ein Raum geöffnet, muss die Zusammensetzung neu eingestellt werden. «Darum holen wir unsere Äpfel nur alle sechs Wochen ab – an fixen Terminen.» So wird sichergestellt, dass die Früchte möglichst frisch bleiben.
Qualität ist gefragt
Was macht eigentlich einen marktfähigen Apfel aus? «Für den Verkauf als Tafelobst braucht es Früchte im Durchmesser von 65 bis 85 Millimetern – makellos», erklärt Güntert. Alles, was zu klein ist oder sichtbare Fehler hat, fällt in andere Kategorien:
Kategorie 1: Durchmesser des Apfels zwischen 60–85 mm, Sortenentsprechende Ausfärbung, keine Beschädigung oder Unförmigkeit.
Kategorie 2: Durchmesser des Apfels 60–90 mm, Sortenentsprechend weniger Ausfärbung und leichte Unförmigkeit toleriert, keine Beschädigungen.
Mostobst: alles was dies Qualitätsparameter von Klasse 1 und 2 nicht erfüllt: Äpfel, die zu Günterts hauseigenem Süssmost verarbeitet werden – mit 70 Prozent Apfel und 30 Prozent Birne.
Kochäpfel: in der Direktvermarktung werden die Äpfel mit kleineren Beschädigungen und mit zu wenig Farbe im Hofladen günstiger angeboten.
«Viele Kundinnen und Kunden sagen mir: Dieser Apfel sieht doch noch schön aus, warum landet er in der Mostkiste?», erzählt Güntert. «Aber in der Realität greifen fast alle zu makellosen Früchten.»
Klima und Spritzproblematik
Die grössten Herausforderungen sind Wetter und Schädlinge. «Die Ernte verschiebt sich immer weiter nach vorne. Früher hatten wir lange Winter und dementsprechende spätere Vegetationsbeginne. Heute kann ich oft schon im März im T-Shirt Bäume schneiden.» Hagel oder sehr viel Regen können kurz vor der Ernte die Äpfel in Qualität und Lagerhaltung massiv beeinträchtigen.
Ohne Pflanzenschutz wäre ein professioneller Tafelobstanbau nicht möglich, «Ungespritzte Äpfel sind ein Trugschluss, Pflanzenschutzmittel werden auch im biologischen Anbau eingesetzt.» Güntert muss die Blütenzahl regulieren, Schorf bekämpfen, Insekten im Auge behalten. Dazu kommen Wachstumsregulatoren oder Nährstoffe. «All das fällt unter das Wort Spritzen.»
Dass er oft nachts unterwegs ist, sorgt bei Anwohnern manchmal für Stirnrunzeln. «Doch die Bedingungen sind dann optimal: kein Wind, kühlere Temperaturen und keine Thermik. Das Mittel verteilt sich gleichmässig und die Nützlinge sind besser geschützt. Wenn ich bei der Ernte dann Ohrwürmer oder Marienkäfer zwischen den Äpfeln finde, weiss ich: Es hat funktioniert.»
Zwischen Handarbeit und Erfahrung
Jeder Baum trägt rund 1000 Blüten – doch nur 100 davon sollen zu Äpfeln werden. «Das Ausdünnen ist die schwierigste Aufgabe. Zu wenig reguliert – die Äpfel bleiben klein. Zu viel – der Ertrag bricht ein. Es gibt keine Faustregel, jeder Baum reagiert anders. Ich habe nur einen Versuch.»
Trotz Technik bleibt vieles Handarbeit. Pflücker durchkämmen die Reihen in mehreren Durchgängen. «Zuerst holen wir die sonnigen Äpfel, zehn Tage später die schattigen. So haben beide Zeit, ihre Farbe und Süsse zu entwickeln.»
Alte Bäume, alte Sorten
Während viele Betriebe nach 15 Jahren die Anlagen erneuern, pflegt Güntert auch 30-jährige Bäume. «Sie bringen weniger Ertrag, sind aber robuster gegen Trockenheit und Schädlinge wie Mäuse, da ihre Wurzeln dicker und weit hinunter gewachsen sind. Nach der Betriebsübernahme habe ich versucht das Beste aus der bestehenden Obstanlage herauszuholen.» Im Hofladen verkauft er zudem alte Sorten wie Glockenäpfel oder Prime Rouge – eine süss-säuerliche Frühsorte. «Viele Kundinnen schätzen diese Erinnerungsäpfel.»
Und wie viele Äpfel isst der Obstbauer selbst? «Während der Ernte bestimmt ein Kilo am Tag – am liebsten direkt vom Baum.» Seine Lieblingssorte: der Diwa.