«Ich habe es geschafft, den Überlebensknopf abzuschalten, der so viele Jahre lang eingeschaltet war. Und ich habe genug Kraft, um für die Frauen zu kämpfen, die jetzt gerade dasselbe durchmachen wie ich. Das ist also mein jetziges Leben, und ich hoffe, dass es auch in Zukunft so sein wird.» – mit diesen Worten beendet Greta Bernal den Podcast «Hinter verschlossener Tür», den Vivian Waldvogel für ihre Diplomarbeit produziert hat.
In der rund 30-minütigen Aufnahme erzählt Greta Bernal von Erlebnissen aus ihrem Leben, unter anderem von jenen, die sie 2021 in der Schweiz machte. Sie wurde Opfer von Menschenhandel.
Das falsche Umfeld
Greta stammt ursprünglich aus Spanien. Ihr Leben war von Beginn an schwierig. Schon früh kam sie durch ihren Vater mit Kriminalität in Berührung, die sie viele Jahre begleitete. Zudem kämpfte sie immer wieder mit finanziellen Problemen. Als ihr vor gut fünf Jahren ein Bekannter ein Jobangebot in der Schweiz vermittelte, sah sie darin die Chance auf einen Neuanfang. Das Angebot klang verlockend – Biel war das Ziel.
Doch was sie in der Schweiz erwartete, war das Gegenteil eines sicheren Lebens: «Es war dunkel, kalt und dreckig», erzählt sie im Podcast. Sie erinnert sich an einen langen, schmalen Korridor mit Türen, hinter denen Frauen auf einem Bett sassen. Insgesamt sechs Wochen wurde die Spanierin in einem Bordell in Biel von zwei Männern und einer Frau festgehalten. Raus durfte sie nur eine Stunde pro Tag – und selbst das nur unter Aufsicht.
Greta beschreibt eindrücklich, wie sie sich damals fühlte: ausgeliefert, schmutzig, hoffnungslos. «Es war aussichtslos, ich hatte mich in dieser Zeit aufgegeben», erzählt sie.
Der Wendepunkt
Dass sie aus dieser Situation entkommen konnte, war reiner Zufall. Eines Tages brach im oberen Stock des Bordells während einer Party Chaos aus. Greta und einige andere Frauen nutzten den Moment, packten ihre Sachen und flohen nach draussen. Kurz darauf griff die Polizei ein und verhaftete die Betreiber des Bordells.
Es war nicht das erste Mal, dass Greta mit Gewalt und Menschenhandel konfrontiert war. Bereits in ihrer Kindheit wurde sie von ihrem Vater als Drogenkurierin benutzt. «Mein Vater war ein Mensch – ich glaube nicht, dass ich ihn jemals richtig kennengelernt habe», erzählt sie. Immer wieder wurde sie von Menschen ausgenutzt oder missbraucht. «Ich habe mich oft gefragt, warum gerade ich dieses Schicksal tragen musste.»
Heute lebt Greta in der Schweiz. Ihre beiden Kinder sind noch im Ausland, doch sie hält den Kontakt aufrecht. Sie engagiert sich für andere Frauen, die in ähnlichen Situationen stecken, und kämpft dafür, dass das Thema Menschenhandel auch in der Schweiz ernst genommen wird.
Die Diplomarbeit
Vivian Waldvogel aus Langwiesen wollte genau diese Geschichte erzählen. Die 30-Jährige studierte an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) im Bereich «Cast / Audiovisual Media» und schloss diesen Sommer ihr Studium ab. Für ihre Diplomarbeit produzierte sie einen animierten Kurzfilm und einen begleitenden Podcast, die Greta Bernals Geschichte ins Zentrum rücken.
«Vor etwa zehn Jahren habe ich einen Dokumentarfilm über Menschenhandel gesehen, der mich nicht mehr losliess», erzählt Vivian Waldvogel. «Meine Diplomarbeit war die Gelegenheit, das Thema vertieft anzuschauen und einen Blick auf die Situation in der Schweiz zu werfen.» Anfangs war unklar, ob sie überhaupt eine betroffene Person finden würde. Sie wandte sich an mehrere Institutionen, jedoch ohne Erfolg. «Im letzten Herbst filmte ich im Hinblick auf die Diplomarbeit am Walk of Freedom, der auf das Thema Menschenhandel aufmerksam macht. Dort lernte ich Greta kennen.»
Trotz Sprachbarriere fanden die beiden schnell Vertrauen zueinander – auch dank der Dolmetscherin von Greta. «Die Chemie stimmte von Anfang an. Durch viele Vorgespräche entstand eine Vertrauensbasis, die Greta schliesslich zum ersten Mal so offen und öffentlich über das Erlebte sprechen liess.», so Vivian Waldvogel. Insgesamt führte sie über sieben Stunden Interviews mit Greta, die sie anschliessend zu einem Podcast verarbeitete.
Weshalb ein Podcast?
Ursprünglich war ein Dokumentarfilm geplant, doch nach den ersten Gesprächen entschied sich die Filmemacherin, das Projekt auf Audio zu fokussieren. «Greta spricht unglaublich bildhaft. Die Geschichte funktioniert schon allein durch ihre Stimme. Es braucht nicht unbedingt Bilder, um das Erlebte zu verstehen.» Der begleitende Kurzfilm setzt deshalb bewusst auf reduzierte, animierte Elemente. «Ich wollte, dass es sich anfühlt, als würde man in einem Tagebuch lesen. Jede Bildszene und selbst die Schriftart sind bewusst gesetzt», erklärt Waldvogel. Minimalistische Grafiken und Zeichnungen erzeugen dabei gezielt Emotionen bei den Zuschauerinnen und Zuschauern.
Thema sichtbar machen
Das Projekt «Hinter verschlossener Tür» wurde nicht nur für den Förderpreis der Zürcher Hochschule der Künste nominiert, sondern auch am renommierten Fantoche Festival in Baden gezeigt – einem der wichtigsten Festivals für Animations- und Kurzfilme in der Schweiz. «In Baden habe ich bereits sehr positives Feedback von Aussenstehenden erhalten», erzählt Vivian Waldvogel. «Es war unglaublich berührend zu sehen, wie Menschen, die Greta noch nie begegnet sind, ihre Geschichte mitfühlen und darüber ins Nachdenken kommen.» Für die Langwieserin war diese Resonanz ein besonderer Moment: «Es freut mich sehr, dass ich mit meiner Arbeit einen Beitrag zur Aufklärung leisten kann. Menschenhandel ist ein Thema, das in unserem Alltag oft unsichtbar bleibt – wir gehen daran vorbei, ohne es zu bemerken. Mit diesem Podcast und dem Kurzfilm wollte ich einen Zugang schaffen, der emotional berührt, zum Hinschauen zwingt und Betroffenheit erzeugt – für mich selbst, aber auch für andere Menschen.»
Der Podcast «Hinter verschlossener Tür» kann auf Spotify als auch auf YouTube angehört werden.