Vom Wald zur Kohlenstadt
Mit dem Camper fahren wir für ein paar Tage zu der Kohlenstadt Tumbler Ridge. Vor 1980 war hier im Umkreis von 100 Kilometern nur Wald. Dann wurde hochgradige Kohle entdeckt und eine Stadt wurde aus der Wildnis gestampft, Bewohnerzahl heute 2400. Alles ist da, damit Familien hier wohnen können. Schule und Spital. Apotheke und Bibliothek. Eishockeyarena und Schwimmbad, die Rocky Mountains im Hintergrund. Die nächste Stadt ist Dawson Creek, 120 km entfernt. Dazwischen – Wald und mehr Wald. Wer hier wohnt, ist wirklich ‘ab der Welt’. Es gibt Menschen, die sind genau deswegen da. Hier ist es einfach, die Sorgen der Welt zu vergessen.
Eine Notaufnahme schliesst
Bis ein Unfall geschieht, besonders an einem Wochenende. Dann ist nämlich die Notfallaufnahme geschlossen. Es sei zu teuer und schwierig, Personal zu finden. «Die Menschen in Tumbler Ridge bringt man nicht grad aus der Ruhe», erzählt mir die Dame im Lebensmittelladen. «Aber die Schliessung der Notfallaufnahme abends und am Wochenende hat sie aufgebracht.» Sie sitzt an einem Tisch und sammelt Unterschriften gegen die Massnahme. Immerhin gibt es im Städtchen zwei Krankenwagen, obwohl der eine nur zu 80 Prozent verfügbar ist. Bei Bedarf fahren diese zum Spital in Dawson Creek.
Zwischen Kohle und Dinosauriern
Nebst der Kohlenindustrie lebt die Stadt vom Tourismus. Wanderwege führen zu atemraubenden Aussichten über wilde Täler und Berge. Quadfahren und Mountainbiking im Sommer, Schneemobil im Winter. 2001 entdeckten zwei Jungs Dinosaurier Fussabdrücke. Seither wurden viele weitere Dinosaurier Spuren und Knochen gefunden. Es ist schon ein besonderes Gefühl, die Hände in die riesigen Fussabdrücke der gepanzerten Ankylosaurier zu legen. Das am Rande eines Baches, nicht in einem Museum. Ich bin froh, nur ihre Fussabdrücke zu sehen. Ich begegne lieber einem Bären, was jederzeit möglich ist.
Gartenidylle neben Urzeitspuren
Tumbler Ridge versucht, seinen Bewohnern den Gemüseanbau liebzumachen. Der Gemeinschaftsgarten liegt gleich neben dem Dinosaurier Museum. Hier können Hochbeete günstig gemietet werden. Daneben stehen einige Reihen Himbeeren und ein kleineres Kartoffelfeld. Als die Bibliothekarin uns zur jährlichen Kartoffelernte einlädt, muss ich ein bisschen schmunzeln. Es ist nicht gerade ein Klettgauer Kartoffelacker. Aber sie war sichtlich stolz darauf. Schade waren wir am Sonntag wieder weg.
Zwischen Weite und Widersprüchen
Der weite Raum im Norden mit seinen grosszügigen Bewohnern hat zwei Seiten. Für uns Schweizer sollte alles möglichst perfekt, schnell und effizient sein. Alles Attribute welche hier nicht die höchste Priorität besitzen. Was uns Schweizer einerseits anzieht, kann anderseits ganz schön stören. Schnell kommt Kritik auf – zum Beispiel, wenn die Fahrer der Pickups den Motor die längste Zeit einfach laufen lassen beim Warten auf den Kaffee beim DriveThru. Wenige Menschen scheinen sich zu kümmern, ob sie die Luft verpesten. Wir paar Leute hier im Norden – was bedeuten wir schon, auch für die Luft? Die übrige Welt mit ihren Problemen scheint weit weg zu sein. Jemand fragte mich einmal: «Warum sollten wir uns um den Krieg in der Ukraine kümmern?» Auch ich merke: Wenn ich hier bin, ist Europa und die Probleme dort gefühlte Welten weg.
Die Schattenseiten der Idylle
Europa mag weit weg sein, aber die USA nicht. Die amerikanischen Zölle treffen die Kanadier hart. Das Schuhgeschäft in dem ich Wanderschuhe kaufe befürchtet, es muss schliessen. Die Schuhe werden in Vietnam hergestellt, kommen aber aus den USA und werden deswegen viel teurer. Ein älterer Herr, der im Holzgeschäft arbeitete klagte, dass die kanadische Holzindustrie ihre grössten Kunden, die Amerikaner, durch die Zölle verlieren wird. Das kanadische Holz wird zu teuer. Die grossen Holzfirmen fahren ihre Geschäfte und Fabriken stark runter. Arbeitsplätze gehen verloren. Die Idylle in diesem wunderschönen Land hat eben auch Schattenseiten. Wie überall.