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Kanton
16.10.2025

Ernte des Lebens – was Generationen verbindet

Andrea Keller.
Andrea Keller. Bild: zVg.
Die Landfrauen-Ecke.

Wenn im Herbst die Felder abgeerntet und wieder angesät sind und der Nebel über den Wiesen liegt, beginnt auf vielen Höfen die ruhigere Zeit des Jahres. Eine Zeit, in der man durchatmet, Bilanz zieht und oft auch zurückblickt. Es ist der Moment, in dem Geschichten erzählt werden. Geschichten über frühere Jahre, über harte Winter, gute Ernten, schwere Entscheidungen. Und über die Menschen, die vor uns hier standen, auf demselben Boden, mit denselben Hoffnungen.

In der Landwirtschaft sind die Generationen eng miteinander verbunden. Der Hof, die Tiere, die Arbeit sind mehr als Besitz. Sie sind Erbe, Verantwortung, Lebensaufgabe. Wer auf einem Hof lebt, spürt täglich diese Verbindung zwischen Vergangenheit und Zukunft. Man pflanzt Bäume, deren Schatten man selbst vielleicht nie geniessen wird und pflegt Felder, die schon der Grossvater bewirtschaftet hat.

Ich denke oft an meine Kindheit zurück: an den Geruch von frisch geerntetem Heu, an das Rattern des Traktors, an die rauen Hände meines Vaters, wenn er mir zeigte, wie man mit der Stichsäge arbeitet. Damals war mir nicht bewusst, dass ich mehr lernte als nur Handgriffe. Ich lernte, Verantwortung zu übernehmen, selbständig zu arbeiten und geduldig zu sein. Heute spüre ich, wie viel davon in mir weiterlebt.

Oft ist der Generationenwechsel nicht einfach. Verschiedene Vorstellungen treffen aufeinander. Die Alten, die an Bewährtem festhalten, und die Jungen, die neue Ideen einbringen wollen. Moderne Technik, andere Arbeitszeiten, veränderte Werte: Was früher galt, gilt heute nicht immer gleich. Doch genau darin liegt eine Chance. Jede Generation bringt ihre eigene Sicht, ihr eigenes Tempo und ihre eigene Stärke mit.

Ich erinnere mich gut an Gespräche mit meinem Vater im Stall. Er erzählte, wie er früher die Heuballen noch mit der Hand auflud, wie kostbar jeder Sonnenstrahl war, wenn die Ernte drohte zu verregnen. Heute haben wir Maschinen, die vieles erleichtern, und doch bleibt eines gleich: die Sorge um Wetter, Tier und Boden – und die Liebe zu dem, was wir tun.

Herbst ist Erntezeit und damit auch Symbol für das, was im Leben reift. Jede Generation erntet, was die vorherige gesät hat. Wissen, Werte, Lebensweisheit – sie werden weitergegeben, manchmal bewusst, oft ganz nebenbei. In der Art, wie wir Probleme angehen, Entscheidungen treffen oder miteinander reden, lebt das weiter, was uns geprägt hat.

Und doch verändert sich das Land und verändern sich die Menschen. Junge Frauen übernehmen Betriebe, denken nachhaltiger, vernetzen sich digital, bringen frischen Wind auf alte Höfe. Sie wollen nicht nur weitermachen, sondern Betriebe für heutige Anforderungen fit machen. Das ist kein Bruch mit der Tradition, sondern Weiterentwicklung. Denn Tradition ist nichts Starres, sie ist lebendig, wenn sie sich wandeln darf.

Von Generation zu Generation weiterzugeben, bedeutet nicht nur, Maschinen oder Felder zu übergeben. Es bedeutet, Vertrauen zu schenken. Den Mut, Neues zu versuchen, und die Freiheit, Fehler zu machen. Es bedeutet, Verantwortung zu teilen und gleichzeitig loszulassen.

Vielleicht ist genau dass, das Schwierigste: loslassen zu können. Zu wissen, dass die nachfolgende Generation ihren eigenen Weg gehen muss, auch wenn er anders aussieht als der eigene.

Der Herbst lehrt uns, dass Loslassen kein Ende ist, sondern Teil des Kreislaufs. Die Blätter fallen, um Neues möglich zu machen. Auch im Leben ist das so. Jede Generation darf etwas Eigenes wachsen lassen auf dem Boden, den die vorherige Generation gepflegt hat.

Und vielleicht liegt genau darin die schönste Ernte: zu sehen, dass das, was man gesät hat an Arbeit, Liebe und Vertrauen weiterwächst. In den Händen derer, die nach uns kommen.

Schaffhausen24, Originalmeldung Andrea Keller