Martina Singer greift nach dem Otoskop, das silbern im grellen Licht der Behandlungslampe aufblitzt. Routiniert, aber behutsam beugt sie sich über ihren ersten Patienten des Tages, um seine Ohren zu kontrollieren. Auf dem Tisch sitzt Django, ein zwölfjähriger Rüde mit grau-weiss-schwarzem Fell und einem etwas skeptischen Blick. Sein Körper zuckt leicht, als die Tierärztin ihm in die Ohren schaut.
Neben ihr steht Amanda Schneider, tiermedizinische Praxisassistentin. Sie richtet die Instrumente, hält Django ruhig und beobachtet konzentriert jede Bewegung der Fachtierärztin. «Wie haben Sie ihn in den letzten Tagen wahrgenommen?», fragt Martina Singer und wendet sich der Besitzerin zu. Diese streicht Django beruhigend über den Kopf. «Ich habe das Gefühl, dass die Ohren besser geworden sind – bei der Hüfte bin ich mir unsicher», sagt sie. Martina Singer nickt, legt vorsichtig eine Hand auf Djangos Hüfte. «Schauen Sie, wenn ich hier leicht drücke – da tut es ihm noch weh», erklärt sie und beobachtet die Reaktion des Hundes. Django leidet seit einiger Zeit unter Schmerzen an der Hüfte und in den Ohren. Seine Besitzerin hat ihn deshalb in die Tierklinik Rhenus in Flurlingen gebracht. Täglich werden dort unzählige Kleintiere, wie beispielsweise Hunde, Katzen, Meerschweinchen, Kaninchen oder Vögel – von einem rund 30-köpfigen Team untersucht, operiert und versorgt.
Der Notfalldienst
Martina Singer arbeitet seit eineinhalb Jahren in der Tierklinik Rhenus. Nach ihrem abgeschlossenen Staatsexamen 2021 war sie zunächst in einer Klinik in Regensdorf tätig. Nach dem dort absolvierten Internship (strukturiertes Weiterbildungsprogramm zur späteren Zulassung zu einer Fachspezialisierung), wechselte sie in die Tierklinik Rhenus, um die dreijährige Ausbildung zur Fachtierärztin FVH für Kleintiere zu absolvieren. An diesem Mittwochvormittag, Anfang Oktober, hat sie Notfalldienst – das bedeutet spontane Termine, unvorhersehbare Fälle und wenig Zeit zum Durchatmen. Meist hält sie sich an solchen Tagen in den Behandlungsräumen auf, doch es kann vorkommen, dass sie auch einmal einen Termin ausserhalb der Klinik wahrnimmt. Auf die Frage, welche Tiere sie am häufigsten behandelt, sagt sie: «Vor allem Katzen und Hunde, ab und zu auch mal ein Meerschweinchen oder einen Vogel.» Mittlerweile ist die Untersuchung mit Django beendet. Der zwölfjährige Rüde bekommt noch ein Leckerli als Belohnung. «So, geschafft – das hast du super gemacht», sagt die Tierärztin und streicht ihm über das Fell. Anschliessend wird der Tisch gründlich gereinigt und alles für den nächsten Patienten vorbereitet. Der Geruch des Desinfektionsmittels hängt noch in der Luft, als Martina Singer das Zimmer verlässt, um sich kurz vorzubereiten. Beim Durchlaufen des Korridors fällt der Blick durch ein Glasfenster in den Operationssaal. Drinnen steht Markus Trächsel, Fachtierarzt und Leiter der Tierklinik, über einem Operationstisch gebeugt. «Hier wird gerade eine laparoskopische (Knopflochtechnik) Kastration bei einer Hündin durchgeführt», erklärt Martina Singer und zeigt durch die Scheibe in den OP. Neben den Behandlungsräumen, eigenem Labor, OP-Vorbereitung und dem Operationsbereich verfügt die Klinik auch über eine eigene, abgetrennte Zahnstation.
Zurück im Behandlungszimmer dauert es keine zwei Minuten, bis die nächste Patientin hereinkommt. Für eine kurze Frage bleibt noch Zeit. Ob sie schon immer Tierärztin werden wollte? Martina Singer lächelt. «Schon als Kind hatte ich ein grosses Interesse an Tieren aller Art. Dass ich nun hier stehe, war schon immer ein Traum – also ja, es war ein Kindheitswunsch.» An ihrem Beruf schätze sie besonders die Abwechslung: «Kein Tag ist wie der andere. Jedes Mal wartet etwas Neues, eine Aufgabe, die ich gemeinsam mit meinen Teamkollegen meistern darf. Und die Arbeit mit den Tieren selbst schätze ich auch sehr, denn die meisten Tiere sind gar nicht böse, nur ängstlich. Das zu verstehen, gehört auch zu meinem Job.»
Ein Kater namens Mogli
Als Nächstes steht ein älterer Kater namens Mogli auf der Liste. Martina Singer begrüsst die Besitzerin freundlich und fragt, wie sie Mogli in den letzten Tagen erlebt habe. «Er hat sich in letzter Zeit sehr zurückgezogen, hechelt etwas, aber frisst nach wie vor regelmässig», erklärt die Frau und streicht ihrem Kater beruhigend über das Fell. Martina Singer nickt, schaut Mogli in den Mund und tastet vorsichtig seinen Bauch und die Flanken ab. «Ich würde gerne Blut abnehmen und im Labor untersuchen, um zu sehen, was ihm fehlt», sagt sie und holt sich die Einwilligung der Besitzerin ein. Ohne einen Mucks lässt sich Mogli die Blutprobe abnehmen. Praxisassistentin und Tierärztin arbeiten ruhig und konzentriert, sprechen mit dem Tier, um es nicht zusätzlich zu verunsichern. «So, geschafft», sagt Martina Singer, während sie das Röhrchen beschriftet. Jetzt heisst es abwarten. Die Frau wird mit Mogli ins Wartezimmer gebeten, um auf die Auswertungen des Labors zu warten.
Der kleine Unfall
«Als Nächstes kommt ein Hund, der heute Morgen einen kleinen Unfall hatte», erklärt Martina Singer gegenüber der «Bock»-Redaktorin. «Jemand hat ihm versehentlich die Rute in einer Tür eingeklemmt.» Ein dummes Missgeschick, wie der Besitzer schildert. Martina Singer tastet die betroffene Stelle vorsichtig ab. «Hier blutet es noch leicht, aber es sieht nicht nach einer schweren Verletzung aus. Ich werde die Stelle verbinden und Schmerzmittel mitgeben, falls die Schmerzen zunehmen.» Ein schneller Routineeingriff für die Tierärztin und die Praxisassistentin.
Die Ergebnisse von Mogli sind da
Rund zwanzig Minuten später liegen die Laborwerte von Kater Mogli vor. Die Besitzerin betritt erneut das Behandlungszimmer, etwas angespannt. «Gute Nachricht», sagt Martina Singer. «Das Blutbild und alle weiteren Werte sind unauffällig.» Der Besitzerin fällt sichtlich ein Stein vom Herzen. «Wir müssen jedoch davon ausgehen, dass Mogli altersbedingte Beschwerden hat – wahrscheinlich etwas in Richtung Arthrose», erklärt sie. Gemeinsam besprechen sie mögliche Therapie- und Medikamentenoptionen, um dem Kater die Schmerzen zu lindern.
Der Mensch gehört dazu
Für einen kurzen Moment wird es ruhig im Behandlungszimmer. Eine Verschnaufpause, bevor der nächste Patient kommt. Auf die Frage, wie sie mit den schwierigeren Momenten ihres Berufs umgeht, sagt Martina Singer: «Zum Tierarztsein gehört nicht nur das Heilen, manchmal auch das Abschiednehmen. Das ist nie einfach. Wichtig ist, dass wir in solchen Situationen im Tempo der Besitzerinnen und Besitzer vorgehen. Ich sage immer: Wir behandeln das Tier, aber wir begleiten auch den Menschen dazu.» Manche Fälle würden sie auch persönlich berühren. «Mit der Zeit baut man eine Beziehung zu den Tieren auf. Deshalb ist es wichtig, alles zu reflektieren und sein Bestes zu geben – für das Tier, aber auch für den Menschen dahinter.» Das nächste Tier wartet bereits. Durch den Flur sind Schritte zu hören, die Tür geht auf. Martina Singer richtet sich auf und der Alltag in der Tierklinik geht weiter.