Noch schnell die frischen Eier sortieren, den Most vom dritten Stock ins Lager bringen und den Staubsauger schwingen – so beginnt ein ganz normaler Morgen im Hofladen der Wagis Farm in Bibern. «Es gibt immer etwas zu tun», sagt Sophie Bührer, lachend, während der Postbote auf einen Kaffee hereinschaut. Der Hofladen mit integriertem Café ist das Herzstück des Betriebs. Sieben Tage die Woche, rund um die Uhr ist er geöffnet. Bezahlt wird in Selbstbedienung mit Twint, Karte oder bar. «Und wer Hilfe braucht, kann einfach die Glocke läuten – jemand ist immer da.»
Von der Idee zur Wirklichkeit
Die Idee für den Hofladen entstand während Sophies Ausbildung zur Landwirtin. «Ich besuchte den Direktvermarkter-Kurs und war begeistert, wie man Produkte vom eigenen Hof direkt an die Leute bringen kann», erzählt sie. Die Familie hatte bereits Milch, Eier und Apfelsaft im Angebot und in Bibern gab es damals noch keinen Hofladen.
Zunächst war ein einfacher Verkaufscontainer geplant. Doch Sophies Vater hatte die Idee, ein bestehendes Gebäude umzubauen. «Mein Vater war anfangs skeptisch», erinnert sich Sophie. «Unser Hof liegt nicht an einer Hauptstrasse, und die Stadt ist weit weg.» Doch das Konzept funktionierte – besser als erwartet.
Im Juni 2020 eröffneten sie ihren Hofladen, kurz darauf kam eine Käserei dazu und 2023 wurde der Laden nochmals erweitert. «Ich habe mir überlegt, Käserin zu lernen, aber ich bin Landwirtin mit Herzblut», sagt Sophie. Um das Handwerk trotzdem zu beherrschen, absolvierte sie Praktika und lernte das Käsen auf der Alp «auf dem Feuer, von der Pike auf». Heute stellt sie Käse, Joghurt, Quark, Butter und vieles Mehr her – alles aus der eigenen Milch. Dazu kommen hausgemachte Produkte wie Bolognese-Sauce mit eigenem Fleisch vom Hof, Glacé und Teigwaren.
Regionalität als Prinzip
Das Sortiment wuchs stetig: Neben Raps- und Sonnenblumenöl bietet der Hofladen auch viele Produkte anderer Bauernfamilien an. «Es gibt so viele tolle Produzenten in der Region. Wir wollten ihr Handwerk sichtbar machen und das ist eine Bereicherung für alle.»
Mittlerweile ist die Direktvermarktung ein wichtiges Standbein. «Neben den Milchkühen, Hühnern und dem Ackerbau ist der Laden zu unserem dritten Betriebszweig geworden», sagt Sophie. Insgesamt arbeiten acht Personen auf der Wagis Farm: Fünf Teilzeitangestellte und Sophies Mutter sind im Hofladen tätig, die übrigen Mitarbeitenden auf dem Landwirtschaftsbetrieb.
Wichtig ist der Familie, dass alle Verkaufsprodukte aus Schweizer Rohstoffen hergestellt werden. «Wir legen Wert auf kurze Transportwege und echtes Handwerk. Wenn wir etwas selber machen, wissen wir genau, was drinsteckt – und das können wir unseren Kunden auch erklären.»
Vom Hofladen in den Detailhandel
Die Qualität spricht sich herum: Raps- und Sonnenblumenöl von der Wagis Farm stehen mittlerweile in 16 Coop-Filialen. In Landis, Restaurants und bei anderen Direktvermarktern gibt es zudem diverse Produkte aus ihrem Sortiment. «Das Öl ist sehr gefragt, die Produktion läuft täglich», erzählt Sophie.
Einmal habe ein Bioladen ihr Öl ins Sortiment aufgenommen, weil in diesem Jahr kein Bio-Rapsöl verfügbar war. «So konnten wir aufklären, weshalb das so war – das ist für mich gelebte Transparenz.»
Herausforderungen und Lernkurve
Der Weg war nicht immer einfach. «Ich habe vieles durch Learning by Doing gelernt», sagt Sophie. «Fehlerquellen zu finden, braucht Zeit – aber mit Testen und Dranbleiben funktioniert es irgendwann.» Unterstützung holt sie sich bei Beratern und anderen Fachleuten. Besonders das Labeling sei anspruchsvoll. «Ich suche immer das Gespräch mit den entsprechenden Fachstellen, um Fehler zu vermeiden.»
Kundschaft gewinnen und halten
Die Kundschaft ist breit gestreut: Stammkunden aus der Region, dazu Besucher aus Zürich, St. Gallen und sogar Deutschland.
Für Kundenbindung setzen sie auf Qualität und stete Neuheiten. Auch digital ist die Familie aktiv: «Social Media ist wichtig, nicht nur um neue Produkte zu zeigen. Wenn wir etwas posten, sehen wir sofort, dass die Leute vorbeikommen.», sagt Sophie. Der Online-Shop sei nur eine Ergänzung.
Pandemie und Aufbruch
Die Pandemie erleichterte den Start: «Als wir eröffneten, waren die Grenzen geschlossen. Die Leute suchten lokale Angebote. Als die Grenze wieder öffnete, sank der Umsatz auf einen Schlag um ein Drittel. Aber wir haben das mit unserem wachsenden Sortiment wieder aufgefangen.»
Die meistverkauften Produkte heute sind Milch, Eier und Milchprodukte. Ihr Kundenstamm sei seit dem Einbruch nicht enorm gestiegen, dafür landen heute mehr Produkte bei ihrer treuen Kundschaft im Warenkorb.
Ein Name mit Geschichte
Der Name «Wagis Farm» lebt Tradition. «Mein Grossvater Walter Bührer war Wagner», erzählt Sophie. «Damals hiessen im kleinen Dorf Bibern gleich zehn Männer Walter Bührer – deshalb hatte jeder einen Spitznamen. Unserer war ‹Wagi›.» Der Name wurde weitergetragen und ist heute über die Kantonsgrenze hinaus bekannt.
Sophies Vater Walter arbeitet täglich auf dem Betrieb mit. Insbesondere die Ölproduktion gehört in sein Ressort. Mit grossem handwerklichem Geschick sorgt er dafür, dass das Raps- und Sonnenblumenöl der Wagis Farm in gleichbleibender Qualität hergestellt wird.
Was Wagis Farm besonders macht
Regionalität und Nachhaltigkeit seien für viele ein Hauptgrund. «Produkte wie die Unsrigen gibt es auch beim Grossverteiler – aber hier im Wagis-Laden wissen die Leute, woher sie kommen. Viele zahlen gerne etwas mehr für Qualität und Regionalität.»
Bei neuen Produkten kalkulieren sie zuerst sehr sorgfältig: «Zutaten, Arbeitsstunden und Konkurrenzpreise müssen stimmen», sagt Sophie. Ein fairer Preis ist entscheidend, sowohl für sie als Betrieb als auch für ihre Kundschaft.
Die Ideen gehen weiter: «Wir probieren ständig Neues – etwa Mozzarella oder Hüttenkäse», erzählt sie. Ein öffentliches WC sei in Planung, und neu im Sortiment ist Proteinmilch in verschiedenen Geschmacksrichtungen.
Was sie anderen Betrieben rät? «Man muss drei Jahre durchbeissen. Der Standort ist nicht alles – wichtiger sind Qualität und faire Preise. Wer Zeit und Willen hat, dem kann ich es nur empfehlen.»