Sie lieben beide ihren Beruf und üben ihn mit viel Herzblut aus. Im aktuellen Abstimmungskampf ist das aber so ziemlich das Einzige, was sie gemeinsam haben. Simon Weilenmann ist Biobauer in Basadingen und politisiert für die Grünen im Thurgauer Parlament. Er ist überzeugt, dass es in der Landwirtschaft Veränderungen braucht. Christoph Graf führt einen konventionellen Milchbetrieb in Ramsen und ist Präsident des Schaffhauser Bauernverbands. Er sieht die Agrarinitiativen als Bedrohung für die Schweizer Bäuerinnen und Bauern.
«Bock»: Herr Weilenmann, warum sollten wir für diese beiden Initiativen stimmen, wenn sogar viele Biobauern sagen, sie seien zu extrem?
Simon Weilenmann: Dass sie zu extrem seien, ist nur eine gezielte Argumentation der Gegnerschaft. Die Initiativen braucht es, weil in der Agrarpolitik ein dringender Handlungsbedarf vorhanden ist. Es wurden in der Vergangenheit immer wieder Pflanzenschutzmittel zugelassen und später wieder verboten, weil klar wurde, dass sie hochgiftig sind. Wir haben einen riesigen Artenrückgang bei den Insekten und den Vögeln. Das führt uns früher oder später vor immense Probleme, das ist auch eine existentielle Bedrohung für uns Menschen. Ein weiteres Anliegen der Initiativen ist sauberes Trinkwasser. Die Pestizidgrenzwerte sind unterdessen an vielen Orten in der Schweiz überschritten. An einzelnen Orten muss viel Geld investiert werden, um diese Probleme einigermassen zu lösen. Grundsätzlich geht es um unsere Gesundheit. Pestizide sind nicht nur im Wasser, sondern auch in der Luft und gelangen so auch auf Ökoflächen und in Wälder. Sie sind überall und das hat einen direkten Einfluss auf uns Menschen.
Das klingt dramatisch. Herr Graf, wir vergiften uns selbst. Da müssten Sie doch für diese Initiativen sein?
Christoph Graf: Die Initiativen sind der völlig falsche Weg und zu extrem. Mich stört, dass hier nur auf diesen Pflanzenschutzmitteln herumgehackt wird. Die gleichen Wirkstoffe sind aber in vielen anderen Bereichen zu finden. Beispielsweise Chlorothalonil wurde auch als Fassadenschutzfarbe verwendet und läuft bei jedem Regen an den Hauswänden herunter und gelangt so in den Boden und ins Grundwasser. Ich behaupte, der grösste Teil solcher Verunreinigungen kommt nicht aus der Landwirtschaft, aber jetzt sollen nur die Bauern schuldig sein. Wir setzen zum Beispiel auch Fungizide gegen Pilzkrankheiten ein, deren Wirkstoff auch in Hautcremen gegen Fusspilz enthalten ist. Da verstehe ich nicht, dass wir die Umweltsünder sein sollen, während die Menschen sich die gleichen Wirkstoffe auf die Haut streichen. Das ist doch eine verkehrte Welt!
Weilenmann: Klar können wir immer auch andere Verursacher suchen und finden, aber das ist für mich kein Argument. Hier geht es nun einfach um die Agrarpolitik, die wir ändern und nachhaltig gestalten wollen. Ich sehe darin viel mehr Chancen als Gefahren. Aktuell gehen 80 Prozent der Forschung in die konventionelle Landwirtschaft. Wenn wir dieses Wissen und auch das Geld mehr in die Biolandwirtschaft investieren, sehe ich viele Möglichkeiten für uns Bäuerinnen und Bauern, für den Handel und die Bevölkerung.
Das Geld statt den grossen Agrarkonzernen zu geben, in die Bioforschung investieren – das klingt doch vernünftig, Herr Graf.
Graf: Ja, auf der anderen Seite müssen wir uns aber fragen: Können wir uns das leisten, bei einer wachsenden Bevölkerungszahl auf 40 Prozent der Erträge zu verzichten? Biolandbau ist ganz streng genommen eine Ressourcenverschwendung, weil wir viel zu viel Land brauchen, um die Menschheit zu ernähren. Zudem könnten wir einige Kulturen, wie beispielsweise Raps, gar nicht mehr anbauen. Und von Ertragsausfällen wegen Fäulnis und so weiter habe ich jetzt noch gar nicht gesprochen. Da müssen wir uns schon fragen, ob das Sinn macht. Für mich ist das nicht verantwortbar.
Das könnte also die Landwirtschaft in arge Seitenlage bringen. Herr Weilenmann, sind Sie ein Utopist?
Weilenmann: Also wenn Sie mich einen Utopist nennen, dann sind 7500 andere, gut funktionierende Biobetriebe in der Schweiz auch Utopisten. Vergessen wir nicht, beide Initiativen haben Übergangsfristen, die uns Zeit geben. Im Biolandbau gibt es viel weniger Monokulturen. Ich pflanze unter anderem Soja an, da haben Sie im Biolandbau sogar einen höheren Ertrag. Mit den Initiativen wird es bei den tierischen Produkten einen Rückgang geben, ja. Aber das wollen wir ja auch, alleine schon aus Klimagründen. Bei rein pflanzlichem Anbau gehen die Erträge aber kaum zurück. Wir brauchen maximal zehn bis 20 Prozent mehr Fläche. Es gibt einige Kulturen, bei denen es ohne Pflanzenschutzmittel schwierig wird, wie zum Beispiel beim Raps. Da gibt es aber gute Alternativen. Ein Biobetrieb macht dann statt Rapsöl, Kürbis-, Lein- oder Sonnenblumenöl.
Graf: Das klingt ja schön und gut, aber Sie vergessen hier den Markt, der das gar nicht will. Ich habe das vor ein paar Jahren angeschaut. Wenn ich als Milchbauer auf Bio umgestellt hätte, wäre der Aufwand grösser geworden, ich hätte die Milch aber trotzdem konventionell verkaufen müssen, weil der Markt für Biomilch gar nicht gegeben war. Die Initiativen wollen uns das Bioland Schweiz aufdrücken, obwohl das Bedürfnis nach Bio bei den Konsumentinnen und Konsumenten bei rund zehn Prozent liegt. Der Einkaufstourismus ins Ausland würde noch mehr zunehmen, weil die Leute einfach günstiges Essen wollen. Ich befürchte, dass wir bei einem Ja zu den Initiativen Bio produzieren müssten, aber zu einem Preis wie heute bei der konventionellen Landwirtschaft. Das kann es doch nicht sein.
Herr Weilenmann, Sie kämpfen mit diesen Initiativen gegen rund 95 Prozent Ihrer Berufskolleginnen und Berufskollegen.
Weilenmann: Ich verstehe die Ängste der Bäuerinnen und Bauern, aber ich sehe viele Chancen im Biolandbau. Wir haben früher oder später gar keine Alternativen mehr, als in diesem Bereich zu forschen und auf Bio zu setzen.
Graf: Das soll doch jeder und jedem selbst überlassen werden. Diesen Zwang, den die Befürworterinnen und Befürworter uns hier auferlegen wollen, sehe ich als sehr unfair. Das macht mir Bauchschmerzen und ich befürchte, dass wir bei einem Ja um unsere Existenzen kämpfen müssen.
Was denken Sie, werden die Initiativen angenommen?
Graf: Es wird sicher sehr eng. Ich gehe davon aus, dass die Initiativen zumindest am Ständemehr scheitern.
Weilenmann: Die Trinkwasserinitiative scheitert wahrscheinlich spätestens am Ständemehr. Die Pestizidinitiative schafft es wohl deutlicher nicht.