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Gesellschaft
03.11.2020

Pflegeeltern aus innerer Überzeugung

Haben auch zwei eigene Kinder: Tabea und Sascha Bertschinger in ihrem Garten.
Haben auch zwei eigene Kinder: Tabea und Sascha Bertschinger in ihrem Garten. Bild: Yves Keller, Schaffhausen24
Wenn in ganz harten Fällen Kinder ihren Eltern entzogen werden müssen, springen Tabea und Sascha Bertschinger ein. Still ist es bei ihnen zu Hause praktisch nie.

Draussen im grossen Garten umkurvt an diesem Vormittag der Rasenmäher-Roboter die Stützen des grossen Baumhauses, auf dem Trampolin liegt feucht der Morgentau. Drinnen am Esstisch sitzen Tabea und Sascha Bertschinger und geniessen den Moment: «So ruhig ist es tatsächlich selten», sagt Tabea Bertschinger. «Im Moment sind alle Kinder bis auf eines in der Schule.» Neben ihren beiden eigenen Kindern ziehen die beiden auch mehrere Kinder auf, die ihren Eltern entzogen werden mussten. «Bei uns werden Minderjährige platziert, die aus verschiedenen Gründen nicht mehr zu Hause sein können. Entweder funktioniert es zwischen dem Kind und den Eltern nicht mehr, oder die Eltern können ihren Pflichten nicht mehr nachkommen.»

Schicksale positiv beeinflussen

Wenn die Kinder bei Sascha und Tabea Bertschinger landen, haben sie in der Regel bereits traumatische Erlebnisse hinter sich. Von völlig verwahrlosten Wohnungen über unüberwindbare Differenzen in der Familie bis hin zu Inhaftierungen der Eltern – die Gründe, warum die Kinder und Teenies hier landen, sind unterschiedlich. Eine Gemeinsamkeit ist, dass die Kinder einen schwierigen Start ins Leben hatten. «Ich habe immer wieder gesehen, dass Kinder in schlimmen Situationen aufwachsen. Wir können Vergangenes nicht ändern, aber wir können starke Bezugspersonen werden, um ihnen zu helfen», erklärt Tabea Bertschinger. «Problemkinder werden bei uns Teil eines Ganzen und stehen nicht mehr als Problem im Mittelpunkt.» Sascha Bertschinger ergänzt: «Wir haben den Wunsch, dass wir jungen Menschen etwas Positives mitgeben können und sie durch uns eine Veränderung in ihrem Leben erfahren.» Dafür verzichten sie auf freie Wochenenden, einen geregelten Feierabend und Wellnessurlaub.

Auch eine Tagesfamilie

Neben den eigenen und den Pflegekindern gehen bei Tabea und Sascha Bertschinger auch Tageskinder ein und aus, die von ihren Eltern für einen Tag zur Betreuung abgegeben werden. So kann es gut sein, dass beim Mittagessen bis zu 12 Personen am Tisch sitzen. Da brauche es regelmässig Grosseinkäufe, bestätigt Sascha Bertschinger. Dass auch Pflegekinder hier sind, sei für die Eltern, die ihre Kinder für einen Tag vorbeibringen, nie ein Problem gewesen, ergänzt Tabea Bertschinger: «Sie zweifelten am Anfang eher daran, dass Sascha, wenn ich weg bin, auch kochen und wickeln kann.»

Alleinerziehende Mütter willkommen

Am Ende des grossen Gartens konnten die beiden vor einiger Zeit ein zweites Haus übernehmen und renovieren. Dies sei ein Glücksfall gewesen. «Das Haus bietet Platz für junge Erwachsene, die bei uns leben und etwas mehr Freiheiten brauchen. Sie sind in diesem Haus selbstständig, haben aber trotzdem den Anschluss an unsere Familie, und wir sind in regelmässigem Kontakt», meint Sascha Bertschinger. Mit diesem System konnten sie einem jungen Mann helfen, der arbeitslos und bereits ausgesteuert war. Er zog in das Haus, wurde von ihnen unterstützt, fand eine Lehrstelle und lernte, für sich zu sorgen. Heute lebe er in einer eigenen Wohnung und habe die Lehre abgeschlossen. Das zweite Haus biete aber auch Möglichkeiten für eine alleinerziehende Mutter, findet Tabea Bertschinger: «Der Platz ist noch frei. Wir könnten uns gut vorstellen, dass eine Mutter mit ihren Kindern einzieht. Am Tag könnte sie die Kinder uns übergeben, um ihrem Beruf nachzugehen. Sie würde eigenständig im zweiten Haus leben, hätte aber trotzdem den direkten Anschluss an uns als Familie.» Wenige Momente nach dieser Aussage ist es vorbei mit der Ruhe. Die Kinder und Teenies sind von der Schule zurück. Am Mittagstisch wird erzählt, gezankt und gelacht. Davon unbeeindruckt zieht der Rasenmäher-Roboter draussen weiter seine Kreise.

Yves Keller, Schaffhausen24