Home Region Sport Schweiz/Ausland Magazin Agenda
Gesellschaft
08.09.2020

Der Mann mit dem Glück

Tej Eddine Derouiche an seinem Lieblingsarbeitsplatz mitten in der Recyclinghalle.
Tej Eddine Derouiche an seinem Lieblingsarbeitsplatz mitten in der Recyclinghalle. Bild: Yves Keller, Schaffhausen24
Viele Leute in Schaffhausen kennen Tej Eddine Derouiche als den aufgestellten und lachenden Mitarbeiter bei Arnold Schmid Recycling. Mit seiner Energie versprüht er ansteckende Freude an einem Ort, wo es die wenigsten erwarten. Ein Porträt.

Ein heisser Sommertag! Die Sonne drückt und entlockt den verschiedenen Abfallbehältern im Recyclinghof einen ranzig-süssen Duft. Vom hinteren, offenen Teil der Halle, rauscht ein gellender Lärm an, jedes Mal, wenn der überdimensionierte Kran Metallteile aus seiner Kralle in die Tiefe fallen lässt. Hierhin kommt nur, wer muss. Und die meisten wollen diesen Ort auch so schnell wie möglich wieder verlassen. Er nicht. Tej Eddine Derouiche liebt es hier. «Schon bevor ich im Recyclinghof arbeitete, wollte ich unbedingt diesen Job haben. Als ich dann das erste Mal in die grosse Halle kam, dachte ich nur: ‹Wooow! Endlich bin ich da!›»

Unterdessen hat er bei der Kundschaft längst Kultstatus erlangt. Das mühsame Entsorgen des Abfalls wird durch seine gesungenen Parkeinweisungen und seine träfen Sprüche für viele zum Erlebnis. Und auch bei den Mitarbeitenden ist er beliebt. Während dem Interview im kleinen Büro im Erdgeschoss des Recyclingcenters tritt seine Arbeitskollegin Tijana Kocic ein. Die Sachbearbeiterin ist äusserst dankbar für das positive Gemüt des 40-Jährigen. Schon oft sei es passiert, dass sie am Morgen mit schlechter Laune zur Arbeit kam, ihn lachen sah und darauf selber lachen musste. Diese Gabe, Leute mit Freude anzustecken, habe er geerbt, ist Tej Eddine Derouiche überzeugt: «Ich bin so geboren. Du solltest mal meine Mutter sehen! Die lacht sogar im Schlaf.»

Nicht alle teilen seine Freude

Aber selbst für ihn gibt es Situationen, in denen ihm das Lachen vergeht. Zum Beispiel dann, wenn er Rassismus erfährt, oder wenn ihm ein Kunde aus unbeschreiblicher Wut einen Abfallsack mitten ins Gesicht schmeisst. «Solche Vorfälle tun mir weh. Aber sie motivieren mich auch, die betreffenden Leute dahin zu bringen, dass sie mich richtig kennen lernen.» Kundinnen und Kunden, die sich ihm gegenüber abschätzig verhalten, begegne er beharrlich positiv und die negativen Vorfälle seien zum Glück äusserst selten. Dass er die Kundschaft mit seiner offenen Art inspirieren könne, sei für ihn eine grosse Motivation: «Wenn ich sehe, dass Leute, die mürrisch zu uns kommen, nach einem Spruch von mir mit einem Lachen wieder gehen, dann bereitet mir das echte Freude.»

Interkulturell und interreligiös

Aufgewachsen ist Tej Eddine Derouiche in Tunesien. Als Junge habe er kaum die Schule besucht, trotzdem spricht er heute fünf Sprachen: Italienisch, Französisch, Arabisch, Deutsch und Englisch. Die Fremdsprachen lernte er von den Touristen. Später zog er mit seinem Vater und seinem Bruder nach Europa, um verschiedene Güter einzukaufen, die sie in Tunesien weiterverkauften. Eines Tages half er in Zürich einer jungen Italienerin beim Einparken. Sie lernten einander besser kennen und heirateten. Mit seiner Frau und dem gemeinsamen zehnjährigen Sohn lebt er heute in Thayngen.

Tej Eddine Derouiche ist muslimisch aufgewachsen, seine Frau ist Katholikin. Für die beiden kein Problem: «Wir nehmen uns das Beste aus beiden Religionen und feiern muslimische und christliche Feste. Meine Frau kommt mit mir in die Moschee und ich begleite sie in die Kirche. Unser Sohn kann später selber entscheiden, ob er muslimisch, christlich oder wie auch immer leben will.»

Persönliches Schicksal

Auch das Leben von Tej Eddine Derouiche besteht nicht nur aus Spässen und endlosem Lachen. Die Distanz zu seiner Familie in Tunesien belastet ihn oft. Auf die Frage, ob er sie oft vermisse, meint er ruhig: «Isch normal», und fügt nach einer kurzen Pause an: «Ich nehme dann das Handy, schaue die Fotos von ihnen an, und manchmal muss ich dabei auch weinen.» Besonders hart sei es an Feiertagen, wenn die ganze Familie in Tunesien zusammenkommt. Ende Juli zum Beispiel, als das islamische Opferfest war, fehlte ihm in diesem Moment die Familie besonders. «Das macht mich dann wirklich sehr traurig, dass ich nicht dabei sein kann. Aber so ist das Leben.»

Ein weiteres Schicksal erlebte er, als seine Frau an Krebs erkrankte. Unterdessen gehe es ihr wieder gut und sie beide seien positiv eingestellt und würden das Leben geniessen. Ob er denn ein glücklicher Mensch sei? «Die Leute sagen das. Ich bin einfach normal und freue mich auf jeden neuen Tag. Wenn ich am Morgen aufstehe, denke ich mir: ‹Schön, heute leben zu dürfen. Schön, dass ich Sonne, Wind und Regen spüren kann.›»

Keine zwei Minuten nach dieser Aussage steht er wieder mitten in der lauten Entsorgungshalle, grinst über beide Ohren, albert mit einer Kundin rum und schenkt zwei Kindern ein Zältli. Tej Eddine Derouiche hat nicht mehr Glück als andere, aber er verteilt es sehr gerne.

Yves Keller, Schaffhausen24