Lockdown! Alles steht still, die allermeisten Flugzeuge bleiben am Boden. Dieses Bild im März dieses Jahres ging auch an Severin Brüngger nicht spurlos vorbei. Unumwunden gibt er zu: «Da bist du auf einmal im Überlebensmodus, rechnest aus, was am Ende des Monats noch auf dem Konto ist und wie lange das alles wohl gehen könnte.»
Nach dem ersten Schock überlegte er sich aber bald, was er mit der gewonnenen Zeit anstellen sollte. In der Zeitung las er von einem Bauern, der zu wenige Arbeiter auf seinem Spargelfeld hatte, weil die Grenzen zu waren und somit die ausländischen Erntehelfer nicht einreisen konnten. Kurzerhand meldete er sich bei besagtem Bauern in Ramsen und trat den härtesten Job seines Lebens an. Während eines Monats stand er fortan jeden Tag während zehn Stunden in gebückter Haltung auf dem Feld. «Es war mega streng. Am Abend kam ich total erschöpft nach Hause, ass etwas, trank drei Bier und ging schlafen», fasst der ehemalige Profihandballer diese Zeit zusammen. Seine Frau, Sarah Heimgartner, bestätigt schmunzelnd: «Er war unerträglich! Aber ich bin sehr stolz auf ihn, dass er das durchgezogen hat.»
Aufgeben war ausgeschlossen
Während den langen Stunden auf dem Feld hatte Severin Brüngger viel Zeit, seinen Gedanken nachzugehen. Er habe oft über seinen Job oder seine Familie nachgedacht. Ein Gedanke beschäftigte ihn aber besonders stark: «Wann ist endlich Pause?».
Die harte Arbeit bescherte dem 42-jährigen Easyjet-Piloten bald verschiedene Blessuren. Nach einigen Tagen hatte er starke Rückenschmerzen und in der rechten Hand plagte ihn eine Sehnenscheidenentzündung, welche das Arbeiten zur Tortur machte. Aufgeben kam trotzdem nicht infrage: «Ich dachte einige Male: ‹Chum, etz hörsch uf mit dem Scheiss!›, aber der Kopf wollte es nicht zulassen, dass ich aufgebe. Zudem fühlte ich mich auch dem Bauern gegenüber verpflichtet.» Der Bauer, das ist Beat Sätteli. Auf die Hilfe von Severin Brüngger angesprochen, findet er nur lobende Worte. Von Anfang an sei der Severin motiviert gewesen. Gchrampfet habe er und sei sogar mit dem Traktor gefahren. «Solche Leute brauchen wir!»
Als die Spargelernte beendet war, meldete sich Severin Brüngger im Mai zusätzlich als Helfer für das Rote Kreuz. Da die Fahrdienste des Roten Kreuzes vor dem Lockdown meist von Leuten über 65 Jahren ausgeübt wurden und diese auf einmal zur Risikogruppe gehörten, gab es einen Mangel an Fahrern. So sprang Severin Brüngger auch hier während eines Monats in die Bresche. Ob er denn nicht lieber zu Hause geblieben wäre und mit seiner Familie den Garten genossen hätte? «Ich glaube, meine Frau und meine beiden Mädchen waren sehr froh, dass ich nicht die ganze Zeit zu Hause war.»
Dankbar für Erfahrung
Unterdessen ist Severin Brüngger als Pilot und Fluglehrer wieder zurück im Cockpit und schätzt seinen Beruf noch mehr als vor seiner Arbeit auf dem Spargelfeld. «Wir Piloten jammern oft, dass wir manchmal zehn Stunden arbeiten müssen. Wenn du aber mal auf so einem Feld warst, siehst du das etwas anders. Diese Arbeit hat mir aufgezeigt, wie schön ich es habe. Fünf Mal weniger hart arbeiten und dabei fünf Mal mehr verdienen ist eigentlich schon ziemlich unfair.» Auf die Frage, wem dieser harte Job auf dem Feld denn auch gut tun würde, grinst Severin Brüngger breit und sagt süffisant: «Journalisten.»