Hilflos, verletzlich, ängstlich und gekränkt durch Mobbing. Diese Gefühle erleben Tag für Tag viele Menschen in der Schweiz, wenn sie bei der Arbeit oder in der Schule sind. Im Rahmen einer Pisa-Studie von 2018 gaben 22 Prozent aller Schweizer Schülerinnen und Schüler an, mehrmals im Monat gemobbt zu werden. Von Mobbing ist die Rede, wenn wiederholt und regelmässig, vorwiegend seelisch schikaniert, gequält und verletzt wird. Die Arten von Mobbing sind jedoch vielfältig.
Auch die Schaffhauserin Helene Nguyen erlebte Schikanen am eigenen Leib. Ihr gelang es, sich erfolgreich zu wehren: «Ich hatte nie Angst, meine Meinung zu äussern», so die 30-Jährige. Auch für Freunde und Arbeitskollegen, die am Arbeitsplatz gemobbt wurden, setzte sie sich vehement ein und versuchte ihnen zu helfen. «Mobbingbetroffene fallen sehr schnell in ein Loch, sind hilflos und wissen nicht, mit wem darüber sprechen. Es gibt Personen, die vielleicht nicht auf die Unterstützung von Familie oder Freunden zählen können», erklärt Helene weiter. Da viele Personen sich vielleicht auch nicht trauen, in der Schule oder beim Arbeitgeber das Problem anzusprechen, entschied sie sich, in Zusammenarbeit mit dem Selbsthilfezentrum Region Winterthur eine Selbsthilfegruppe für Mobbingopfer zu gründen.
Grosser Selbstwert
Mobbing erfolgt durch einen Menschen oder eine Gruppe von Personen. Gemäss Definition ist eine schikanierende Handlung allein, eine Meinungsverschiedenheit oder eine Streiterei aber noch kein Mobbing. Es gibt vier Kriterien, damit überhaupt von Mobbing gesprochen werden kann. Zuerst geht es um feindselige Handlungen wie Belästigen, Demütigen, Ausgrenzen und Schikanieren. Zweitens wird eine Person während mindestens sechs Monaten sowie mehr als einmal pro Woche in ihrer Würde verletzt. Drittens steht das Opfer unter grossem Druck und/oder leidet an psychosomatischen Krankheitssymptomen. Viertens fühlt sich die betroffene Person in einer verzweifelten und ausweglos erscheinenden Lage.
Helene erlebte, wie wichtig die Unterstützung von Menschen sein kann, die Ähnliches erlebt haben, als eine ihrer Freundinnen von Bossing betroffen war. Beim Bossing ist es die Vorgesetzte, die mobbt. Die betroffene Freundin wandte sich nach einiger Überwindungsarbeit an die Personalabteilung. Doch anstatt ihr zu helfen, Gespräche mit allen Beteiligten zu führen und Lösungen zu finden, hat die Personalabteilung die ganze Situation runtergespielt und als Überreaktion degradiert. «Ihr wurde gesagt, sie sei selber schuld. Sie müsse einfach anders reagieren und weniger sensibel sein», sagt Helene und schüttelt dabei verständnislos den Kopf. Da konnte Helene mit ihren Erfahrungen helfen. Sie riet ihr, sich an eine Beratungsstelle oder einen Rechtsanwalt zu wenden und ein Tagebuch zu führen, in dem alle Handlungen, die involvierten Personen, Umstände und Gefühle notiert werden. Auch war sie für ihre Freundin da und hatte volles Verständnis für ihre Situation.
Gemäss dem bedeutenden Mobbingforscher Heinz Leymann gibt es 45 verschiedene Mobbing-Handlungen wie zum Beispiel absichtliche Angriffe auf die persönliche Integrität. Die Liste der Mobbinghandlungen ist lang und unterscheidet sich je nach Umfeld, in welchem sie geschehen. Helene Nguyen hatte den Mut, sich zu wehren und gewann durch diese Erfahrung an innerer Stärke. «Ich wäre ein klassisches Mobbingopfer geworden, hätte ich nicht reagiert und einfach aufgegeben», erklärt die Schaffhauserin. Wie hat sie das geschafft? «Ich habe ein gutes Selbstwertgefühl und ich habe Hilfe von meiner Familie und meinen Freunden erhalten. Dafür bin ich ihnen sehr dankbar. In der Selbsthilfegruppe möchte ich Betroffenen zeigen, dass sie in der Mobbing-Situation nicht alleine sind.»
Mobbing überwinden
Nach grosser Recherchearbeit, Gesprächen mit Experten und Besuchen von Seminaren zu dem Thema wandte sich Helene Nguyen mit ihrer Idee einer Selbsthilfegruppe an das Selbsthilfezentrum Region Winterthur. Die Schaffhauserin fand dort grossen Zuspruch und Unterstützung, weshalb die Planung nun in vollem Gange ist. «Bei der Selbsthilfegruppe geht es darum, Mobbing zu überwinden», sagt die Schaffhauserin und hofft, dass sich viele Personen anmelden werden. In einer solchen Gruppe trifft man auf Verständnis, weil alle Mobbinghandlungen erlebt haben. Das Ziel ist, dass der Austausch den Betroffenen längerfristig hilft, die Erfahrungen zu verarbeiten und neue Perspektiven und neuen Mut zu gewinnen. Für Helene Nguyen ist das eine Herzensangelegenheit.
Eine Anmeldung für die Selbsthilfegruppe «Mobbing überwinden» ist beim Selbsthilfezentrum Region Winterthur unter der Nummer 052 213 80 60 möglich. Sie wird in Schaffhausen oder Winterthur stattfinden.