«Meine Eltern in Indien waren wohlhabend. Wir hatten ein grosses Haus, Ländereien, Lastwägen und ein Carunternehmen, uns ging es gut», erinnert sich Andy Auerhammer an seine jüngste Kindheit. Sein Vater Inder, die Mutter Engländerin, vier Geschwister, hinter dem Haus ein Wald und ein See. Die idyllische Kindheit währte jedoch nicht lange. Als der lebensfrohe Bub fünf Jahre alt war, verstarb seine Mutter an Magenkrebs, was das Leben der Familie fundamental veränderte. Der Vater heiratete bald eine neue Frau, die eigene Kinder in die Beziehung brachte und Andy Auerhammer und seine Geschwister fortan im wahrsten Sinne des Wortes «stiefmütterlich» behandelte: «Sie schikanierte uns regelmässig und gab uns weniger Essen als ihren leiblichen Kindern. Unser Vater kaufte uns manchmal auswärts heimlich zusätzliches Essen, um uns zu helfen. Sie ändern konnte er aber auch nicht, er war ihr hörig.» Für die Kinder war diese Situation so belastend, dass Andy Auerhammer sich irgendwann entschloss, von zu Hause davon zu laufen. Kurz darauf wurde er gefunden und wieder zur Familie zurückgebracht, nur um wenig später wieder abzuhauen. Dieses Mal definitiv. Seinen Vater und seine Geschwister sah er seither nie wieder.
Das brutale Strassenleben
«Ich habe keine Ahnung, wo ich überall war, ich fuhr einfach viel mit dem Zug umher. Schwarzfahren ist in Indien deutlich einfacher als hier», erklärt Andy Auerhammer. Auf der Strasse zu leben, stellen sich wohl die meisten als schwierig vor. Nur in Indien sei dies nochmals ganz anders, betont er: «Es war jeden Tag ein Kampf ums Überleben. Ich schlug mich auf den Strassen durch, versuchte Problemen aus dem Weg zu gehen, bettelte und suchte in den Abfalleimern nach etwas Essbarem.» Immer wieder sah er das nackte Elend. Er sah wie ein hungernder Bub eine Banane von den Gleisen holen wollte und ihm dabei vom abfahrenden Zug eine Hand abgetrennt wurde. Er sah, wie Bettelnde neben toten Hunden lagen und selber gegen den Hunger kämpften und er sah, wie brutal die Verhältnisse in indischen Gefängnissen waren. «Einmal wurde ich des Diebstahls verdächtigt und in einem Raum mit 60 anderen Insassen eingesperrt. In der einen Ecke verrichtete man sein grosses Geschäft, in der anderen das Kleine. Es stank und war eng. Ich fragte mich ständig, wie ich da lebend wieder rauskomme.» Nach ein paar Tagen wurde er aus der Zelle geholt und mit einem Auto weit weg von der Stadt, mitten in der Wildnis ausgesetzt. Er fand zurück in die Stadt und kämpfte sich weiter durch. Freunde hatte er kaum und meistens war er allein unterwegs: «Viele von uns waren Einzelgänger aus einem ganz einfachen Grund: Wenn du mit jemandem zusammen unterwegs bist, musst du das Essen teilen. Das konnte ich mir nicht leisten.» Wie erbarmungslos das Leben auf der Strasse war, zeigt auch die Geschichte, als er eines Tages eine Banknote fand. Mit dem Geld konnte er sich Essen und eine Decke kaufen. Am Abend legte er sich beim Bahnhof unter seiner neuen Decke schlafen: «Ich war vorsichtig. Das Wechselgeld, das ich noch hatte, klemmte ich zwischen meine ‹Füdlibagge›, damit es auch wirklich niemand stehlen kann, dann schlief ich glücklich ein. Am nächsten Morgen erwachte ich ohne Decke und ohne Geld. Alles war weg.»