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Kultur
04.11.2025
03.11.2025 15:57 Uhr

Kunst zum anfassen

V.l.n.r. Bruno Raggi, Peter Meier und Martin Steinmann.
V.l.n.r. Bruno Raggi, Peter Meier und Martin Steinmann. Bild: Ginevra Lo Piccolo
Am Sonntag, 9. November, findet in der Kammgarn die sechste Vinylbörse statt – ein Muss für Musikliebhaber und Sammler. Das Event wurde von Martin Steinmann, Bruno Raggi und Peter Meier auf die Beine gestellt. Doch wie haben sie den Weg zur Plattensammlung gefunden? Über das und vieles mehr hat das kleine OK-Team im Gespräch mit dem «Bock» geplaudert.

Martin Steinmann, Mitorganisator der Schaffhauser Vinylbörse, erinnert sich noch genau an seine erste Begegnung mit Musik auf Schallplatten. Im Jahr 1966 kaufte er im Alter von 12 Jahren seine erste Single, «Sloop John B» von den «Beach Boys». «Die habe ich heute noch, handschriftlich mit einer ‹eins› und dem Kaufdatum nummeriert. Seitdem bin ich angefressen.» Obwohl Platten damals etwas billiger waren als heute, konnten sich Jugendliche keine richtige Schallplatte leisten. «Erst in der Ausbildung konnte ich mir auch mal eine oder zwei LPs pro Monat leisten. Die erste Schallplatte war ‹Live at Leeds› von ‹The Who›», erzählt Martin Steinmann. «Die Faszination hält bis heute an, ist sogar noch stärker geworden.», fügt er hinzu. Bei Bruno Raggi war es ein wenig anders: «Als ich klein war, Anfang der 60er-Jahre, hatten wir ein Radio in der Küche und ich hörte die Hitparade. Damals war Schlager aktuell, damit bin ich aufgewachsen.» Plötzlich kamen in den Hitparaden «The Beatles» und «The Kinks». Doch obwohl er bereits fasziniert war, bekam er den Plattenspieler erst mit 17 Jahren: «Davor habe ich einfach das gehört, was im Radio lief. Eine meiner ersten LPs war das ‹White Album› der Beatles, ein Klassiker.» Danach kam das Sammeln für ihn ins Rollen, vor allem, als in den 70er- Jahren der Progressive Rock die Bühne eroberte. «Das war der Moment, als ich angefangen habe, regelmässig Platten zu kaufen.»

Musik im Wandel

Früher gab es keine Streaming-Plattformen. Wer das neue Album einer Band hören wollte, musste sich die Schallplatte besorgen. «Alle haben sich darauf gestürzt. Und alle haben das Gleiche gehört und sich darüber ausgetauscht», so Martin Steinmann. Heute ist das Angebot riesig und es scheint unmöglich, allem nachzugehen.

«Wer sich nicht ein wenig beschränkt, wird schnell überfordert», fügt Bruno Raggi hinzu. In den 80ern kam dann jedoch ein neues Medium auf den Markt: die CD. Für Bruno Raggi war das rückblickend eine tragische Zeit: «Ich habe alle meine Platten verkauft, etwa 200 Stück. Ich dachte, CDs wären super. Man musste nicht mehr die Seite wechseln und der Klang war gut.» Damals gab es in der Webergasse ein Geschäft, in dem Platten gegen CDs eingetauscht werden konnten, und Bruno Raggi nutzte das Angebot fleissig. «Ende der 90er Jahre bin ich einmal ins Brockenhaus gegangen und habe dort eine Sammlung von etwa 200 Schallplatten gefunden, nur das Beste vom Besten. Ich habe 40 davon gekauft und mir erneut einen Plattenspieler zugelegt. So fand ich wieder zu meiner Plattensammlung zurück», erzählt der Musikliebhaber. Auch Martin Steinmann war vom neuen Medium fasziniert, da ihn Technologie schon sein ganzes Leben interessiert. «Die Tonqualität war sehr gut, doch die Grafiken haben sehr unter der Verkleinerung gelitten.» Als Grafiker ist das etwas, das ihm besonders am Herzen liegt. «Ich habe meine Platte auf etwa 100 reduziert und mich damals mehr auf CDs konzentriert. Erst vor etwa sechs Jahren bin ich wieder auf den Vinyl-Geschmack gekommen.»

Durch das kreative Artwork werden die Vinyls zu echten Hinguckern. Bild: Ginevra Lo Piccolo

Ein Treffpunkt für Musikliebhaber

Bruno Raggi und Martin Steinmann kennen sich schon sehr lange. «Bruno und ich sind eigentlich zusammen aufgewachsen, da wir beide Stadtkinder sind», erzählt Steinmann. Früher hatte Raggi selbst einen Vinyl-Brocki beim ehemaligen Cardinal an der Bahnhofstrasse. «Da kamen am Samstagmittag Leute, darunter auch Martin, der damals keine Platten gesammelt hat, einfach zum Reden.» Doch dann verloren sich Martin Steinmann und Bruno Raggi 40 Jahre lang aus den Augen. Es war der «Vinylpunkt», das Plattengeschäft von Peter Meier am Anfang der Neustadt, welches die beide wieder zusammengebracht hat.

«Als Martin plötzlich im Vinylpunkt auftauchte, musste er lachen. Er hat mir einfach gesagt ‹Vinyl? Spinnst du eigentlich?›», erinnert sich Bruno Raggi amüsiert. «Etwa ein halbes Jahr hat er darauf beharrt, doch irgendwann hat er eine gekauft.» Und schon war Martin Steinmann erneut in die Sammlerszene eingetaucht. «Im Vinylladen dauert es keine fünf Minuten, bis ein Gespräch mit anderen Musikliebhabern entsteht. Heute treffen wir uns jeden Samstagmittag im Vinylpunkt», erklärt der Grafiker. Der Schallplattenladen war auch der Ort, an dem die Idee für die Vinylbörse entstanden ist, erzählt er: «Ich war bei Peter im Laden und wir haben uns darüber unterhalten, wie schön es wäre, eine Börse zu veranstalten. Das wurde dann schnell Wirklichkeit und nach und nach sind mehr Leute eingestiegen.» Dass die Veranstaltung in der Kammgarn stattfinden sollte, war von Anfang an klar, ebenso der Wochentag. «Was soll man an einem Sonntag Besseres machen?», fragt Bruno Raggi grinsend. Was sie an der Börse besonders schätzen? Die Atmosphäre, so wie er erläutert: «Es kommen stets tolle Leute vorbei und und die Verkäufe stimmen.» Währenddessen geniesst es Martin Steinmann, seine musikalischen Kenntnisse hinter dem DJ-Pult zum Ausdruck zu bringen. «Ich verkaufe zwar keine Platten, doch mir war es von Anfang an wichtig, dass ich den ganzen Tag DJ sein darf, weil ich das sehr gerne mache.» Sein Ziel ist es, die Plattenhändler mit Musik zu überraschen, die sie noch nicht kennen, damit sie nachfragen, was gerade läuft. «Und das gelingt mir eigentlich immer», gibt Steinmann mit einer Prise Stolz zu. Aber es geht nicht nur ums Verkaufen von Schallplatten, erläutert Bruno Raggi: «Es ist ein Treffpunkt, an dem alte Bekannte aufeinandertreffen und die Möglichkeit haben, sich über Platten und Musik auszutauschen und zusammen etwas zu trinken.»

Bewusstes Zuhören

Wenn es um das Hören von Musik auf Vinyl geht, ist der Unterschied zu anderen Medien deutlich spürbar, meint Martin Steinmann. Dabei gehe es nicht unbedingt um den Klang, sondern um das Eintauchen in die Musik. «Ich behaupte, dass das Hören einer Vinylplatte, die man aus dem Regal nimmt, aus der Hülle holt und auflegt, aktiveres und konzentrierteres Zuhören erfordert», so Steinmann. Es geht um das bewusste Musikhören. «Die Entscheidung, was gehört wird, fällt bewusster aus und fürs Zuhören muss man sich die Zeit nehmen.», erklärt Raggi. «Es bietet die Möglichkeit, 20 Minuten lang zu sitzen und konzentriert zuzuhören. Beim Streamen kann das Lied schnell gewechselt werden, sobald es einem nicht mehr gefällt. Und weg ist die ganze Magie», meint der Grafiker. «Vinyl ist wie gutes Essen oder ein guter Wein: purer Genuss», fügt er hinzu. Und dann käme noch der optische Aspekt hinzu: das Artwork. Denn Platten können geöffnet, angeschaut und berührt werden. Sie eignen sich aber auch zum Weiterverschenken, wie Bruno Raggi erklärt: «Wenn meine Tochter Geburtstag hat und sich eine Platte wünscht, kann ich diese suchen und ihr schenken. Über Streamingplattformen geht das nicht.» Es ist Kunst zum Anfassen. «Vinyl ist etwas Besonderes. Auf einer Börse begegnen sich andere Leute, die das genauso schätzen. Man fühlt sich Teil einer ganz besonderen Sache». Auf die Frage, ob dieser Trend anhalten wird, hat Martin Steinmann eine Antwort parat: «Die Technologie ist ausgereizt. Wir haben momentan von digital bis analog die ganze Palette. Vinyl ist eine Nische, die bleibt. Es ist ein emotionales Medium, das den Menschen nah ist.»

Offen für Neues

Wenn es um die Zukunft der Börse gehe, wären grosse Änderungen nicht nötig, denn die Veranstaltung sei stets gut besucht und die Organisatoren zufrieden. Es gibt jedoch noch Wünsche offen. So spielt Bruno Raggi beispielsweise mit dem Gedanken, eine Ausstellung mit Cover-Art zu organisieren.«Ich habe so viele schöne, spezielle Platten, die ich gerne ausstellen möchte. Es ist aber ein grosser Aufwand, da immer jemand vor Ort sein sollte, um die Besucher durch die Ausstellung zu begleiten. Ausserdem haben wir noch keinen passenden Raum gefunden», so Bruno Raggi. Und über die Möglichkeit einer zweiten Börse im Frühling wird im OK-Team auch besprochen. Das Plattensammeln ist jedermanns Sache, egal ob jung oder alt. Wichtig ist jedoch, offen für Neues zu sein, wie Martin Steinmann findet: «Einfach im Vinylladen vorbeischauen oder an die Börse kommen, das eignet sich besonders gut fürs erste Durchstöbern.»

Die Plattenbörse findet am Sonntag, 9. November, von 11 bis 17 Uhr in der Kammgarn statt.

Ginevra Lo Piccolo, Schaffhausen24
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