Für die Aktionstage «16 Tage gegen Gewalt an Frauen» wird jedes Jahr einem Schwerpunkt festgelegt. In diesem Jahr wurde beschlossen, Gewalt gegen Frauen mit einer Behinderung verstärkt sichtbar zu machen. Um diese Problematik zu verstehen, muss zunächst der Begriff «Behinderung» präziser gefasst werden. Eine Behinderung kann sichtbar sein, zum Beispiel in Form von Mobilitäts-, Hör- oder Sehbehinderungen, aber auch unsichtbar, wie etwa bei psychischen oder kognitiven Einschränkungen. Monika Schudel Ottiger, Personalverantwortliche der «Altra» Schaffhausen, erklärt, dass Menschen mit Behinderungen häufiger von Gewalt betroffen sind und zugleich weniger Zugang zu Unterstützung und Justiz haben als Menschen ohne Beeinträchtigungen. Dies hängt auch mit der Art der Behinderung zusammen, denn je nach Form bestehen unterschiedliche Barrieren beim Zugang zu Beratung und Hilfe. Besonders gefährdet sind Frauen, die auf die Hilfe Dritter angewiesen sind. Sie erleben überdurchschnittlich oft Übergriffe oder Vernachlässigung und haben geringere Chancen auf wirksame Unterstützung. Laut Schudel Ottiger mangelt es zudem an Sensibilisierung und Schulung.
Zeit hinzuschauen
Die Aktion, vom 4. Dezember, im Kronenhof, «Gewalt hat viele Gesichter – wir schauen hin» verfolgte das Ziel ein Bewusstsein zu schaffen, zum genauen Hinsehen im eigenen Umfeld anzuregen und Ideen für den Umgang mit Grenzverletzungen in Machtverhältnissen zu vermitteln. Unter anderem wurden folgende Fragen diskutiert: Wie übernehmen Institutionen für Menschen mit Behinderung ihre Verantwortung im Umgang mit Gewalt und Grenzverletzungen? Und wie arbeiten ihre internen Präventions- und Meldestellen? Schudel Ottiger betont, dass sich Institutionen ihrer grossen Verantwortung bewusst sind.
Nützliche Instrumente
Die Institutionen orientieren ihre professionelle Arbeit an der «Präventionscharta», die zehn Grundsätze umfasst – etwa zu Präventions- und Interventionskonzepten. Verbände, Institutionen und Organisationen, welche die Charta unterzeichnen, verpflichten sich zu diesen Grundsätzen. Monika Schudel Ottiger erklärt, wie die Charta in der Praxis eingesetzt wird:
• Schlüsselrolle Personal: Bei der Rekrutierung von Fachpersonen verlangen die drei Institutionen einen Sonderprivatauszug, einen Strafregisterauszug sowie eine Bestätigung, dass kein laufendes Strafverfahren besteht. Zudem wird zwingend eine Referenz eingeholt und konkret nach möglichen Verdachtsmomenten zu Grenzverletzungen am vorherigen Arbeitsort gefragt.
• Einrichtung interner und externer Meldestellen
• Stärkung der Selbstkompetenz von Menschen mit Behinderung
Ein weiteres wichtiges Instrument zur Prävention und Bearbeitung von Grenzverletzungen ist der «Bündner Standard». Er wird jeweils an die Bedürfnisse der jeweiligen Organisationen angepasst und kann daher nicht einfach übernommen werden. Der Standard hilft dabei, Grenzverletzungen zu erfassen, nach Schweregrad zu beurteilen und einen professionellen und transparenten Bearbeitungsprozess sicherzustellen, sowie auch Reflexionsfragen aufzustellen, die individuell beantwortet werden können. Er gebe allen Beteiligten mehr Sicherheit im Umgang mit einem hoch emotionalen Thema.