Home Region Sport Schweiz/Ausland Magazin Agenda
Gesundheit
16.12.2025
16.12.2025 08:34 Uhr

Wenn Trauer zu viel Platz einnimmt

Nathalie Schabus hat in diesem Jahr ihre dreijährige Ausbildung zur psychologischen Beraterin abgeschlossen.
Nathalie Schabus hat in diesem Jahr ihre dreijährige Ausbildung zur psychologischen Beraterin abgeschlossen. Bild: Salome Zulauf, Schaffhausen24
Menschen auf ihrem Weg zu begleiten, das ist Nathalie Schabus grosse Leidenschaft. Schon als Personaltrainerin arbeitete sie eng mit ihnen zusammen, hörte zu, motivierte und stärkte sie. Doch sie wollte noch tiefer gehen: In den vergangenen drei Jahren hat sie sich zur psychologischen Beraterin ausbilden lassen. Mit dem Ziel, Menschen zu begleiten, die sich in einer herausfordernden Lebensphase befinden.

Lichterketten, Weihnachtsmärkte, vertraute Rituale: Für viele ist die Adventszeit eine Zeit des Zusammenkommens. Für Menschen jedoch, die eine nahestehende Person verloren haben, kann genau diese Zeit besonders schmerzhaft werden. Erinnerungen treten deutlicher hervor, und Traditionen, die einst Freude auslösten, wirken plötzlich leer. «Gerade an Weihnachten fallen viele Personen zurück in alte Muster, beginnen nachzudenken und zu trauern», sagt Nathalie Schabus. Die 45-Jährige aus Schaffhausen weiss, wie intensiv Trauer sein kann und wie verschieden sie sich zeigt.

Vom Personal Training zur psychologischen Beratung

Nathalie Schabus war viele Jahre als Personaltrainerin in Schaffhausen tätig. Die Arbeit mit Menschen hat sie dabei stets begleitet. «Meine Kundinnen und Kunden erzählten mir viel aus ihrem Leben. Irgendwann merkte ich, dass mich die psychischen Hintergründe besonders interessieren», erzählt sie. 2023 entschied sie sich, beruflich nochmals neue Wege zu gehen. Sie absolvierte eine Ausbildung zur psychologischen Beraterin und gründete am 1. November dieses Jahres ihr Unternehmen «Seelenheil». Ihr Ziel: Menschen in herausfordernden Lebensphasen zu unterstützen. Nebenbei arbeitet sie weiterhin im kaufmännischen Bereich und ist Mutter von drei Kindern. Ihre Beratungsschwerpunkte liegen in den Bereichen ungesunde Beziehungsdynamiken, Krisensituationen und Trauerbegleitung, auch dann, wenn ein Tier verstorben ist. «Diese Themen sind mir selbst alle schon mal widerfahren», sagt die Schaffhauserin. «Ungesunde Beziehungsdynamiken habe ich selbst erlebt, Krisen begegnen jedem Menschen, und Trauer betrifft früher oder später alle.» Besonders verbunden fühlt sie sich mit diesem Thema, weil sie beide Elternteile bereits früh verloren hat – ein Einschnitt, der sie und ihre Familie stark geprägt hat.

Wird zu Weihnachten mehr getrauert?

Für Nathalie Schabus ist klar: Trauer braucht sehr viel Raum. «Ich habe das Gefühl, dass wir als Gesellschaft der Trauer zu wenig Platz lassen. Viele stehen unter Druck – von Familie, Arbeitgebern oder sich selbst und glauben, einfach funktionieren zu müssen.» Dabei verläuft Trauer nicht gradlinig. Sie zeigt sich in Wellen, ausgelöst durch Erinnerungen, Düfte, Musik oder Rituale wie Weihnachten. «Solche Momente können einen völlig aus der Bahn werfen», sagt Schabus.

 

Die vier Phasen des Trauerns

Die Trauerforschung beschreibt vier Phasen, die Betroffene durchlaufen können:

1. Nicht-Wahrhaben-Wollen: Ein Schockzustand, in dem das Geschehene kaum fassbar ist.

2. Aufbrechende Emotionen: Wut, Angst, Schmerz oder Verzweiflung treten oft gleichzeitig auf.

3. Suchen und Sich-Trennen: Erinnerungen, Fotos oder Gedanken dienen als Anker, um langsam Abschied zu nehmen.

4. Neuer Selbst- und Weltbezug: Die Trauer wird akzeptiert, neue Perspektiven können entstehen.

«Es gibt keine Anleitung für das Trauern. Alle Gefühle dürfen Platz haben», betont Nathalie Schabus. Auch die Art, wie Menschen trauern, unterscheidet sich. Manche suchen Gespräche und Halt im Alltag, andere funktionieren nur noch im Autopiloten. Wieder andere wirken wie erstarrt, weil sie das Geschehene nicht an sich heranlassen können. «Zu Beginn bitte ich neue Klientinnen und Klienten, ihre aktuelle Situation und das auslösende Ereignis zu schildern. Das ist die Grundlage», erklärt Nathalie Schabus. «Ich kann kein Medikament, wie beispielsweise ein Arzt, verschreiben. Aber ich kann Impulse geben und gemeinsam mit der Klientel Ressourcen erarbeiten, die helfen können.»

Kleine Schritte zurück in den Alltag

Zu den möglichen Kraftquellen gehören einfache, aber wirkungsvolle Schritte: eine Tagesstruktur, Spaziergänge, ein Mittagessen mit einer vertrauten Person, das Festhalten von Gefühlen oder das Sammeln von Lichtblicken.

Musik oder der Austausch in Gruppen können ebenfalls hilfreich sein. «Es geht darum, wieder zu Kräften zu kommen und die eigenen Bedürfnisse ernst zu nehmen», sagt sie. Gerade in der Weihnachtszeit bedeutet das auch, Verpflichtungen zu hinterfragen. «Ich ermutige Menschen, Nein zu sagen, wenn ihnen etwas nicht guttut.» Diese Erfahrung hat die 45-Jährige selbst gemacht: Nach dem Tod ihrer Mutter verzichtete sie bewusst auf das traditionelle Leichenmahl. «Es war für mich nicht stimmig, und ich durfte entscheiden, was sich richtig anfühlt.»

Wann braucht es professionelle Unterstützung?

Unterstützung wird dann wichtig, wenn jemand über längere Zeit nicht in den Alltag zurückfindet, die Phase der Akzeptanz nicht erreicht oder wenn grundlegende Tätigkeiten wie Essen oder Schlafen kaum mehr möglich sind. «Dann besteht die Gefahr, dass Trauer in eine Depression rutscht», führt Nathalie Schabus weiter aus. Auch Angehörige können viel beitragen. «Fragen, was die betroffene Person braucht, und respektieren, wenn jemand nicht sprechen möchte», betont sie. Rückzug, Absagen oder stille Momente sollten ernst genommen werden. «Es geht darum, Raum zu geben und Mut zu machen, Hilfe anzunehmen.»

Für Nathalie Schabus ist ihre Arbeit sinnstiftend. «Ich möchte den Menschen etwas zurückgeben», erklärt sie. «Trauer ist ein schweres Thema. Aber wenn ich sehe, dass jemand wieder zu seiner Kraft findet, berührt mich das jedes Mal.» Weihnachten wird für viele immer eine herausfordernde Zeit bleiben, doch niemand soll diesen Weg alleine gehen müssen.

Salome Zulauf Schaffhausen24
Demnächst