Unser Hauptproblem ist die saisonalen Schieflage. Der geplante Ausbau der erneuerbaren Energie auf 45 TWh – mit Fokus auf Photovoltaik – führt an klaren Sommertagen zu gewaltigen Überschüssen, die wir nicht wirtschaftlich speichern können. Im Hochwinter dagegen entsteht selbst unter den optimistischen Szenarien des Bundesamts für Energie (BFE) eine Versorgungslücke von 15 bis 20 TWh.
Diese Winterlücke soll durch Stromimporte geschlossen werden – ein riskantes Unterfangen. Die meisten Nachbarländer haben im Winter selbst zu wenig Strom, weil sie (ausser Frankreich) ähnlich einseitige Versorgungsstrategien wie die Schweiz verfolgen. Deutschland, durch die heute schon höchsten Strompreise in industrieller Schieflage, möchte mehr als 30 grosse Backup-Gaskraftwerke bauen, um die Mangellage im Winter und bei Dunkelflauten abzuwenden, Die Vorstellung, dass wir im Winter einfach Strom aus der EU beziehen können, ist trügerisch. Im Ernstfall wird jedes Land zuerst die eigene Versorgung sichern.
Zudem hilft importierter Strom aus Kohle-, Öl- oder Gaskraftwerken dem Klima nicht. Ein Stromabkommen mit der EU würde weder die Versorgung sichern noch zur Reduktion des CO₂-Ausstosses beitragen. Im Gegenteil: Die Schweiz müsste ihre Netze nach EU-Regeln betreiben, hätte aber keine Mitsprache, wenn es um Prioritäten in Mangellagen ginge. Die Verantwortung bliebe national, die Kontrolle läge ausserhalb der Schweiz.
Fehlanreize im Strommarkt
Die heutige Förderpolitik verschärft die strukturellen Probleme. Subventionen fliessen bevorzugt in Solaranlagen, die im Sommer viel, im Winter aber wenig Strom liefern. Die Folgekosten für Speicher, Netzausbauten und Reservekraftwerke bleiben unberücksichtigt. Auch die Kosten für die spätere Entsorgung von Solar- und Windanlagen nach deren kurzer Nutzungsdauer von 25 Jahren werden ausgeblendet. Demgegenüber erhalten Gas- und Kernkraftwerke, die mit Nutzungsdauern von 40 beziehungsweise 60 Jahren eine hohe sowie kostengünstige Versorgungssicherheit und Stabilität bieten, keine Förderung – im Gegenteil: Sie müssen ihre Entsorgungskosten über Rückstellungsfonds vorfinanzieren.
Da Strom sich nur aufwändig speichern lässt (eine Batterie für 1 TWh kostet über 100 Milliarden Franken), müssen Einspeisung (Produktion) und Verbrauch jederzeit im Gleichgewicht sein. Da die Folgen eines Netzzusammenbruches unkalkulierbar sind, funktioniert der Strommarkt nur, wenn immer genug Strom verfügbar ist. Das macht den Strommarkt an seinen Belastungsgrenzen unelastisch: Bei Knappheit steigen die Preise stark an, bei Überangebot fallen sie ins Negative – mit teuren Folgen für die Netzstabilisierung, deren Kosten am Ende die Kunden tragen.
So entsteht ein paradoxes System, bei dem auch zu viel Solarstrom die Preise treibt, statt sie zu senken. Das ist keine Theorie, sondern bereits Realität – etwa für die Kunden der CKW, die ihre Strompreise jüngst erhöhte. Dies paradoxerweise wegen eines Überangebots an Solarstrom, was die Marktpreise zeitweise ins Negative drückte und die Kosten für die Netzstabilisierung hochtrieb. Die Kunden zahlen die Zeche. Zu viel Solarstrom wird zum Preistreiber statt zum Entlastungsfaktor. Was einst als marktwirtschaftliches Effizienzmodell gedacht war, ist heute ein teures Subventionssystem mit hohen Risiken für Kunden, Betreiber und Investoren.
Das EU-Stromabkommen – mehr Verpflichtung als Nutzen
Mangels Willen zur eigenen Lösung für die Winterstromlücke, soll ein Stromabkommen mit der EU den Zugang zum Strombinnenmarkt und so die Versorgung sichern. Doch es verpflichtet die Schweiz grosse Teile des EU-Energierechts zu übernehmen – etwa zu Marktregeln, Netzsteuerung, Reservekraftwerken und Umweltauflagen – ohne Mitbestimmung. Das Stromabkommen bringt neue Pflichten, aber keine Garantien. Unsere Energiepolitik und -versorgung wird dem EU-Rechtsraum sowie der EU-Mitbestimmung unterstellt. Im Krisenfall wird aber jedes EU-Land die eigene Versorgung priorisieren. Zudem legt das Abkommen verbindliche Ziele für erneuerbare statt für CO₂-freie Energie fest und nimmt damit direkten Einfluss auf den künftigen Energiemix der Schweiz.
Besonders heikel sind die Wasserkraftwerke – das Rückgrat unserer Stromversorgung. Zwar werden sie im Abkommen nicht speziell erwähnt. Der Bundesrat interpretiert die Nichterwähnung als Ausschluss von einer EU-Regulierung. Doch Fachleute sehen das – gestützt auf Entscheide des EUGH – anders: Nach gängiger EU-Praxis gilt alles, was nicht ausdrücklich ausgenommen ist, als binnenmarktrelevant. Ohne ausdrückliche Schutzklausel («carve-out») ist davon auszugehen, dass Brüssel oder der Europäische Gerichtshof EuGH spätestens im Streitfall Kompetenzen beanspruchen werden. Es droht eine schleichende Übertragung kommunaler, kantonaler und nationaler Hoheit auf die EU.
Versorgungssicherheit braucht hohe Eigenständigkeit
Das Stromabkommen schafft also keine sichere zusätzliche Energieversorgung bei Mangellagen - sondern neue Abhängigkeiten. Die Schweiz braucht eine Politik, die Eigenproduktion und Versorgungssicherheit stärkt – nicht mehr Regulierung aus Brüssel.
Selbst nach dem Ausbau der Erneuerbaren auf die geplanten 45 TWh und dem Zuwachs der Wasserkraft um 2 TWh bleibt eine Winterlücke von 15 bis 20 TWh. Diese kann nur mit steuerbaren Kapazitäten wirtschaftlich geschlossen werden; zunächst durch rasch zuschaltbare Gaskraftwerke, später (auch) in Kombination mit modernen Kernkraftlösungen, um den rasch wachsenden Strombedarf zu decken sowie mit vor Ort gelagerten Brennstoffreserven für fünf und mehr Jahre die Versorgungssicherheit zu stärken.
Was die Schweiz braucht, ist eine technologieoffene, pragmatische Energiepolitik. Mehr Winterstrom statt immer höhere Sommerstromüberschüsse, mehr Eigenproduktion statt Abhängigkeit. Eine Energiepolitik die sich an physikalischen Realitäten orientiert – nicht an politischer Symbolik. Nur so bleibt Strom bezahlbar und die Versorgung auch im Winter gesichert.
Kooperation mit der EU ist sinnvoll – Unterordnung nicht. Eine Schweiz, die ihre Energieversorgung eigenständig und verlässlich organisiert, die nicht a priori Winterstrom- bedürftig ist und innert Sekunden 8 GW Leistung aus den Speicherkraftwerken bereitstellen kann, wird in jedem Stromnetz mit rationalen Partnern eine geschätzte Akteurin sein.