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Gesellschaft
04.12.2025
04.12.2025 09:16 Uhr

Kampf um die eigene Identität

Bianca Ritter ist PR-Journalistin und frischgebackene Autorin. Ihr Buch stellt sie kommendes Jahr auch im «Meetingpoint» vor.
Bianca Ritter ist PR-Journalistin und frischgebackene Autorin. Ihr Buch stellt sie kommendes Jahr auch im «Meetingpoint» vor. Bild: Sandro Zoller
Authentisch, kreativ, gut im Schreiben und tabulos – das ist Bianca Nadine Ritter. Geboren ist sie aber im Körper eines Mannes. Früh erkannte sie, dass bei ihr etwas anders ist. Das Publikmachen bei TeleZüri war der unumkehrbare Start ihrer Metamorphose. Mit ihrem ersten Buch möchte sie nicht nur ihr Leben reflektieren, sondern auch Mut machen.

«Im April 1965 bin ich als Christoph Oliver Ritter auf die Welt gekommen. Früh habe ich bemerkt, dass ich anders bin», erzählt Bianca Ritter im Gespräch mit dem «Bock». Sie nimmt einen Schluck Wasser und fährt fort: «Meine Jugend habe ich sozusagen verlebt und keine wirkliche Pubertät durchlaufen. Diese holte ich dann mit vierzig nach.»

Heute ist die 60-jährige PR-Schreiberin und Promi-Interviewerin durch all ihre Erfahrungen gereift und standfester geworden – nach dem Motto: «Was dich nicht umbringt, macht dich stärker.» Diese Eindrücke, Erlebnisse und Emotionen hat Bianca Ritter aufs Papier gebracht, genauer gesagt in ein Buch, mit dem Titel «Ausser man tut es», transformiert.

People-Interviews und PR-Texte

Als Kind habe sie rasch einmal den Kleiderschrank der Mutter entdeckt. Früher oder später stelle sich solch ein junger Mensch die Frage, was das alles nun bedeutet und ob dies ein Fetisch ist, so Ritter: «Die ganze BDSM-Geschichte, welche ich durchprobiert habe, war ein Fetisch. Die Entwicklung, zur Person, welche ich heute bin, war selbstverständlich keine, sondern meine wahre Bestimmung.» Vom Christoph bis zur Bianca sollte noch ein wenig Zeit ins Land ziehen.

Während dem KV habe ihr ein Lehrer geraten, Schriftstellerin zu werden. Rund sechs Jahre später wagte sie den Sprung in die Medienwelt. Ihre Karriere begann beim Stadt-Anzeiger in Glattbrugg. Danach schrieb sie für den Wochenspiegel in Bülach. «Während vier Jahren, und bis 2014, wohnte ich im Frohsinn in Hemmental. Damals gab es noch die Zeitung Schaffhauser Post, für welche ich unter anderem tätig war.» Es sei immer wieder schön, nach Schaffhausen zu kommen. Nur leider liege die Stadt nicht gerade am Weg. Die einzige übriggebliebene Verbindung zum Ort sei ein guter Freund, welcher ebenfalls in ihrem Buch vorkommt. «Hier hat es einen anderen Groove als etwa in Zürich. Ich weiss noch, in der Migros in Herblingen herrschte keine Hektik oder gar aggressive Stimmung beim Einkaufen», erinnert sich Ritter zurück.

Seit 2017 besucht sie im Auftrag des «Best of Magazin» Firmen in der Deutschschweiz für Publireportagen und interviewt Schweizer Promis. Eine ihrer aktuellen und schönsten Begegnungen habe sich mit Freddy Burger, dem Manager von Peppe Lienhard und einst auch von Udo Jürgens, abgespielt. Nach dem Interview hätten sie sich sogar noch über sehr Privates und ihre beiden neuen Bücher austauschen können.

Ihre Heimat hat sie definitiv im PR-Journalismus gefunden. Nur stelle sich mit 60 die Suche nach einer zusätzlichen Arbeit als sehr schwierig heraus.

Echt und authentisch

Wer ist Bianca Ritter überhaupt? «Ich bin sehr authentisch, humorvoll, kreativ und kollegial. Da ich relativ tabulos bin, kann man mit mir über alles reden. Wenn andere langsam einen roten Kopf bekommen, diskutiere ich fröhlich weiter.» Authentizität bedeute, dass Bianca Ritter in der Öffentlichkeit genau gleich ist, wie zu Hause. Eine Maus, welche sich in ihr Heim schleichen würde, sähe keinen Unterschied. «Klar, in den eigenen vier Wänden bin ich sicherlich eine gemütlichere Bianca, die gerne Musik hört und nicht so gestylt ist. Aber das gilt vermutlich für die meisten Menschen», so die Journalistin.

Zwangsläufig habe sie sich, aufgrund der «Metamorphose», respektive des Ablegens des einstigen Ichs, in eine andere Person verwandelt. Dennoch, im Kern sei sie der gleiche Mensch wie eh und je.

«Das Körperliche ist eine andere Geschichte und war wortwörtlich einschneidend gewesen. Denn durch die geschlechtsangleichende Operation kommt etwas dazu, während anderes entfernt wird.» Das für sie wohl einschneidendste Erlebnis war der Freitod ihres Vaters, den sie sozusagen selbst miterlebte. Zum Glück könne sie sich immer auf ihre Stärke verlassen – auch wenn sie in einem tiefen, dunklen Tal stecke: «Zuerst taumle und falle ich um. Ja, es laufen mir auch Tränen die Wangen hinunter. Aber ich stehe wieder auf. Spätestens am nächsten Tag ist die Kämpferin in mir wieder präsent.» Diese innere Kraft braucht sie bis heute, um allen Widrigkeiten zu trotzen, sagt Ritter: «Nicht alle Personen in meiner Situation haben es geschafft, manche sind heute nicht mehr unter uns.»

«Anfangs ging ich nur im Dunkeln spazieren oder versteckte mich hinter Büschen, wenn Leute kamen.»
Bianca Ritter, People- und PR-Journalistin, Autorin

Von der Larve zum Schmetterling

Die komplette Verwandlung von Christoph über Chris und Chrisssie zu Bianca habe gedauert – gerade innerlich. Heute könne man schon fast von einem «Brand» sprechen. Diese «Marke» Bianca musste sie sich hart erarbeiten und dafür einen hohen Preis bezahlen, auch wenn sie nichts bereut.

«Früher war ich eine Einzelgängerin und vielleicht ab und an ein wenig naiv. Manche Auswirkungen waren mir nicht bewusst», resümiert Ritter. Ihr Entscheid stand aber dazumal fest; Wenn sich eine Möglichkeit ergibt, ihr Vorhaben publik zu machen, dann würde sie die Chance wahrnehmen. Kaum sei der Gedanke formuliert gewesen, habe Tele Züri an ihre Tür geklopft und sie in die Sendung «TalkTäglich» eingeladen. Plötzlich sei es ernst geworden – und sie unsicher. «Mein damaliger Chef beim Wochenspiegel ‹Wospi› hat mich immer unterstützt und intern verteidigt. Ich wollte ihn über die Einladung informieren. Blöderweise war er auf der Jagd und nicht erreichbar», weiss Ritter noch ganz genau. So habe eines zum anderen geführt und plötzlich sei sie im Studio gewesen und habe Hugo Bigi Rede und Antwort gestanden. In der Zeitung habe dies hohe Wellen geschlagen und zur Kündigung geführt. «Der stramme SVPler und Verlagsleiter war schon vorher nicht glücklich mit mir. Nun hatte mein Chef aber nichts mehr, um mich vor ihm zu beschützen. Die Situation spitzte sich weiter zu. Ich entschied, noch vor der Kündigungsfrist zu gehen.»

Dies war der Wendepunkt in ihrem Leben. Denn nun gab es kein Zurück mehr. Die Familie habe das leider auseinandergerissen. Nur ihre Mutter sei wie ein Fels in der Brandung hinter ihr gestanden. Sie habe ihren Freund, während der Zeit in Schaffhausen, sowie die jetzige Partnerin ins Herz geschlossen. «Leider ist sie nicht mehr unter uns.»

Damals sei für sie der Schritt an die Öffentlichkeit richtig gewesen. Sie habe für sich und andere einstehen wollen. Im Nachhinein hätte sie alles ein weniger ruhiger und in kleineren Schritten angehen sollen. Denn die Auswirkungen hätten auch die Kinder, etwa mit Mobbing in der Schule, zu spüren bekommen. «Die Veränderung zu meinem wahren Ich war unvermeidlich. Ich konnte nicht mehr länger warten. Das hätte mich innerlich zerrissen», sagt Bianca Ritter.

Ein Buch voller Mut und Reflexion

Auch sie frage sich manchmal heute bei gewissen TV-Sendungen, ob das Travestie, Selbstdarstellung bis zum Exzess oder wirklich die wahre Identität der Person ist. Deshalb soll das Buch unter anderem einer Person, welche sich mit der Transidentität auseinandersetzt, aufzeigen, was eine Geschlechtsumwandlung mit sich bringen kann und darum eine gut überlegte Entscheidung sein müsse. Zudem soll es auch Mut machen, für sich und sein Leben einzustehen, so die PR-Journalistin: «Anfangs ging ich nur im Dunkeln spazieren oder versteckte mich hinter Büschen, wenn Leute kamen. Dabei sollte einem egal sein, was andere denken.»

Bianca Ritter stellt am Mittwoch, 6. Mai 2026, 18.30 Uhr, ihr Buch im Meetingpoint vor.

Sandro Zoller, Schaffhausen24
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