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Schweiz
19.11.2025
18.11.2025 10:20 Uhr

Dienstpflicht nun für alle?

Es wird abgestimmt.
Es wird abgestimmt. Bild: zVg.
Am 30. November wird abgestimmt. Die Service-citoyen-Initiative will die bestehende Dienstpflicht in der Schweiz grundlegend verändern. Statt nur Männer sollen künftig auch Frauen und Personen, die in der Schweiz leben aber keinen Schweizer Pass haben, einen Beitrag zugunsten der Gesellschaft und Umwelt leisten.

Heute sind Schweizer Männer dazu verpflichtet, Militär- oder Zivilschutzdienst zu leisten. Wer sich weigert oder aus gesundheitlichen Gründen keinen Dienst leisten kann, muss eine Ersatzabgabe bezahlen. Für Frauen mit Schweizer Pass ist der Dienst in Armee oder Zivilschutz bislang freiwillig. Genau das möchte die Service-citoyen-Initiative ändern. Sie fordert, dass alle Bürgerinnen und Bürger der Schweiz künftig einen Dienst für die Gemeinschaft und die Umwelt leisten müssen. Dabei sollen das Gemeinwohl gestärkt und der Austausch zwischen Menschen aus verschiedenen Lebensbereichen gefördert werden, die sonst kaum miteinander in Kontakt kommen würden. Mit der Initiative würden neu auch Frauen dienstpflichtig. Der Dienst könnte entweder im Militär, im Zivilschutz oder in einer gleichwertigen zivilen Funktion erbracht werden. Gleichzeitig soll der notwendige Personalbestand von Armee und Zivilschutz weiterhin sichergestellt bleiben.

Gemeinschaft stärken

Das Ziel der Initiative ist es, den Sicherheitsbegriff breiter zu denken und den Pflichtdienst stärker auf gesellschaftlich relevante Bereiche wie Klimaschutz, Ernährungssicherheit oder Betreuung auszurichten. Wer keinen Dienst leistet, soll – wie heute – eine Abgabe entrichten. Durch die Einführung einer allgemeinen Dienstpflicht würde sich die Zahl der aufgebotenen Personen verdoppeln, was zu höheren Kosten für Bund, Kantone und die Wirtschaft führen würde.

Das sagt die Politik dazu

Befürwortende sehen in der Initiative eine gerechte Weiterentwicklung der Dienstpflicht, die Solidarität, Verantwortungsbewusstsein und den gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt. Zudem sichere sie den Bestand der Schweizer Armee. Die Gegnerinnen und Gegner hingegen kritisieren, dass mit der Initiative deutlich mehr Menschen zum Dienst aufgeboten würden, als tatsächlich benötigt werden. Dadurch würden doppelt so viele Personen während ihres Dienstes in der Arbeitswelt fehlen. Auch die jährlichen Kosten für Militärversicherung und Erwerbsersatz würden sich voraussichtlich verdoppeln.

Pro: Tim Bucher (GLP)

«Bock»: Sie sind Co-Präsident des Vereins hinter der Service-citoyen-Initiative. Welches Argument spricht dafür, dass künftig auch Frauen und in der Schweiz wohnhafte Ausländer Dienst leisten sollen?
Tim Bucher: Heute sind nur junge Schweizer Männer dienstpflichtig. Die Initiative sorgt erstmals für Fairness im Milizsystem: Frauen und Männer mit und ohne Staatsbürgerschaft leisten zusammen einen Beitrag für die Gemeinschaft. Denn wer von der Sicherheit und Stabilität unserer Gesellschaft profitiert, soll auch etwas zu ihrem Erhalt beitragen. So räumt die Initiative mit alten Geschlechterrollen auf, öffnet allen den Zugang zu dieser Lebensschule und fördert eine durchmischte Bevölkerung was unseren gesellschaftlichen Zusammenhalt stärkt.

Gegner der Initiative warnen vor deutlich höheren Kosten für Militärversicherung und Erwerbsersatz.
Bucher: Die Finanzierung baut auf den heutigen Strukturen des Wehrpflichtsystems auf, welches sich bewährt hat. Über den Bund, die Kantone und den Erwerbsersatz wird die Finanzierung gedeckt. Mehrkosten entstehen vor allem, wenn man nichts tut: Ein Land, das in einer Krise nicht vorbereitet ist, zahlt ein Vielfaches – sei es bei Naturkatastrophen, Cyberangriffen oder Pflegenotstand. Die Initiative ist daher keine Belastung, sondern eine Investition in die Sicherheit, in den Zusammenhalt und in die Fähigkeit, auf Krisen zu reagieren. Bundesbern ist bereit, Milliarden in Kampfjets aber nicht in die Wehrhaftigkeit unserer Gesellschaft zu investieren? Das ist doch absurd.

Welche konkreten Vorteile hätte die Einführung des Service-citoyen-Initiative für die Schweizer Gesellschaft?
Bucher: Die Initiative stärkt, was die Schweiz ausmacht: Sicherheit durch Engagement. Sie garantiert den Bestand von Armee und Zivilschutz und erweitert sie um dringend benötigte Kräfte. In einer so unsicheren Zeit müssen wir uns wappnen. Nicht nur mit Technik und Ausrüstung, sondern mit engagierten jungen Menschen. Sie öffnet den Dienst für alle: Frauen und Männer mit und ohne Staatsbürgerschaft. Alle leisten einen Beitrag dort, wo das Land ihn am meisten braucht. Damit wird das volle Potenzial mobilisiert. Wer sich engagiert, lernt fürs Leben. Im Dienst übernehmen Menschen Verantwortung, arbeiten im Team und nehmen diese wertvolle Erfahrung mit in ihr persönliches und berufliches Leben.

Wie verhindern Sie, dass die Pflicht für Frauen und in der Schweiz lebende Personen ohne Schweizer Pass als Zwang statt als Chance wahrgenommen wird?
Bucher: Eine Pflicht muss nicht einengen. Als junger Mensch finde ich es befreiend zu wissen, dass ich in Krisensituationen handlungsfähig bin und meinen Beitrag leisten kann. Wir müssen uns bewusst sein, dass im Ernstfall Chaos droht, wenn wir von niemandem Verantwortung einfordern. Unser Land funktioniert nun einmal nicht allein durch Freiwilligkeit.

Kontra: Theresia Derksen (Mitte)

«Bock»: Frau Derksen, Sie lehnen die Service-citoyen-Initiative ab. Wo sehen Sie die grössten Probleme oder Risiken dieser Initiative?
Theresia Dersken: Diese Initiative zwingt pauschal und flächendeckend alle Frauen und Männer zu Pflichtdiensten. Es müssten weit über den Bedarf von Armee und Zivilschutz Personen rekrutiert werden. Das bedeutet, dass Einsätze ausserhalb von Armee und Zivilschutz hinaus gesucht und gefunden werden müssten, ohne dass ein realer Bedarf für alle diese Arbeitskräfte besteht. Dies nützt weder der Wirtschaft noch stärkt es die Freiwilligenarbeit. Die Kosten für Erwerbsersatz und die Militärversicherung würden enorm steigen und die Koordination der Arbeitseinsätze würde auch die Kantone belasten. Viel Geld, das man besser und gezielter in Bildung und Umweltschutz investieren könnte.

Die Armee kämpft zunehmend mit Rekrutierungsproblemen. Welche Alternativen sehen Sie, um dem Personalmangel entgegenzuwirken?
Dersken: Die Initiative würde die Wehrpflicht abschaffen und durch den Service Citoyen mit freier Wahl des Einsatzbereichs ersetzen. Die Wehrpflicht garantiert verlässliche Bestände. Frauen können sich freiwillig für den Militärdienst entscheiden. Wenn der Militärdienst künftig durch Einsätze in der Sozialhilfe oder im Klimaschutz ersetzt werden könnte, wäre der Bestand unserer Armee nicht mehr gesichert.

Befürwortende argumentieren, dass ein allgemeiner Dienst die Solidarität stärkt und Menschen aus verschiedenen sozialen Hintergründen zusammenbringt. Warum überzeugt Sie dieses Argument nicht?
Derksen: Ein Einsatz mit Zwang stärkt die Freiwilligenarbeit nicht. Wer sich freiwillig engagiert, ist motiviert und bestimmt Art und Umfang der Tätigkeit mit. Trotz gesellschaftlichem Wandel zeigt der «Freiwilligen-Monitor 2025» der Schweizerischen Gemeinnützigen Gesellschaft (SGG) auf, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung ab 15 Jahren freiwillige engagieren. Diese Freiwilligenquote ist in keinem anderen europäischen Land höher.

Die Initiative sieht vor, dass sowohl Männer als auch Frauen dienstpflichtig werden. Warum halten Sie diesen geschlechterneutralen Ansatz für nicht zielführend?
Derksen: Heute leisten die Frauen einen grossen Teil der unbezahlten Care-Arbeit und die Gleichstellung ist in Beruf und Gesellschaft weiterhin nicht vollständig erreicht. In der heutigen Situation wäre eine zusätzliche Bürgerdienstpflicht für Frauen eine Mehrbelastung und eine zusätzliche Ungerechtigkeit.

 

Salome Zulauf, Schaffhausen24
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